04.06.2020, 20:27
Seit nun einer Woche kann sich Erfurt als einer der 154 Sicheren Häfen in Deutschland bezeichnen! Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein Grund zu feiern - zumindest kurz. Für uns ist vor allem wichtig, was darauf jetzt folgt. Hinter uns liegt ein langes Hin und Her aus Ausschüssen, Einreichungen, Stellungnahmen, Verhandlungen und eine lange Suche nach Kompromissen. Der am Mittwoch, den 27.05., gefällte Beschluss ist ein Grund zum Aufatmen. Doch wir bleiben weiter dran: Wir werden die praktische Umsetzung der beschlossenen Punkte verfolgen und daran anknüpfend weitere Schritte einfordern! Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan.
Wir wollen transparent machen, was da eigentlich abging - und was nicht. Auf welchen Kompromiss konnten sich immerhin fünf Fraktionen (SPD, LINKE, GRÜNE, Freie Wähler/Piraten, Mehrwertstadt) einigen? Und auf was nicht?
Was wurde beschlossen?
... dass die Stadt Erfurt sich offiziell solidarisiert mit Geflüchteten und Menschen, die sich auf der Flucht befinden.
... dass sie sich mit den Zielen der Potsdamer Erklärung solidarisiert und sich außerdem als Unterstützerin eines Thüringer Landesaufnahmeprogramms erklärt. (Ein solches wurde diese Woche für Menschen aus den griechischen Lagern beschlossen.)
... dass die Stadtverwaltung beauftragt wird, ein Maßnahmenkonzept für das bereits seit Jahren bestehende Integrationskonzept zu erarbeiten. Dabei sollen der Ausländerbeirat und weitere Akteur*innen der Migrationsarbeit einbezogen und Rücksicht auf mehrere Maßnahmenvorschläge genommen werden. Diese drehen sich vorrangig um aktive Schritte zur Verbesserung der Situation für Geflüchtete und Migrant*innen in der Erfurter Ausländerbehörde. Diese Forderungen hatten wir ursprünglich als feste Beschlusspunkte erarbeitet, sie sind nun zu "Maßnahmenvorschlägen" geworden. Wir hoffen, dass sie tatsächlich ihre Umsetzung finden werden.
Der Vergleich zu dem ursprünglichen Antrag "Erfurt zum sicheren Hafen machen!", den die Stadtratsfraktionen LINKEN, GRÜNEN und Mehrwertstadt gemeinsam mit uns erarbeitet hatten, wirft jedoch ein etwas differenzierteres - womöglich ernüchterndes - Licht darauf. Wir blicken zurück: Über Monate hinweg haben wir aktiv unsere Forderungen in die Erarbeitung dieses Antrags eingebracht. Neben den "üblichen" SEEBRÜCKE-Forderungen, die sich auf das Massensterben auf dem Mittelmeer richten, war nicht wegzuwischen: Die Stadt Erfurt hat auch Missstände zu bewältigen, die die Situation von bereits angekommenen geflüchteten Menschen hier vor Ort betreffen. In Austausch mit dem Flüchtlingsrat Thüringen und mit Menschen, die eigene Erfahrungen mit der Erfurter Ausländerbehörde gemacht haben, kam so einiges zusammen. Schließlich wurden aus einem Antrag zwei - einer mit Forderungen im überregionalen SEEBRÜCKE-Kontext und einer mit Maßnahmen vor Ort für sicheres Ankommen UND Bleiben für Refugees. Denn das ist die Bedeutung eines konsequenten sicheren Hafens. Nicht ohne Grund gingen mehrere hundert Geflüchtete und Migrant*innen letztes Jahr in Erfurt gegen Behördenwillkür und rassistische Diskriminierung auf die Straße. Zu behaupten, dass Erfurt "schon längst ein sicherer Hafen ist", wie die SPD es des Öfteren formulierte, halten wir für naiv und falsch.
Was wurde NICHT beschlossen?
Im Laufe der Auseinandersetzung mit weiteren Fraktionen fielen schließlich also mehrere Forderungen herunter - durch unterschiedliche Vorstellungen von Wichtigkeiten, Zuständigkeiten und Realisierbarkeit und durch den Versuch gemeinsam umsetzbare Kompromisse zu finden. Also kurz und schmerzvoll: Nicht beschlossen wurde...
... die Unterzeichnung der Potsdamer Erklärung und damit der Beitritt zum Städte-Bündnis sicherer Häfen zur Vernetzung mit anderen Städten
... die aktive Unterstützung von Seenotrettung
... eine Aufnahmebereitschaft über den Verteilungsschlüssel hinaus und
... eine Solidaritätserklärung mit den Zielen der Seebrücke!
... ein Appell der Stadt Erfurt an den Bund, sich auf europäischer Ebene für eine Unterstützung von europäischen Kommunen und Regionen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten einzusetzen.
Weh tut nach wie vor die nüchterne Erkenntnis, dass eine klare Positionierung gegen Abschiebungen - die immer und überall, egal von wem, egal in welches Land abzulehnen sind - keinen Platz in einem Erfurter Stadtratsantrag hat, wenn für diesen eine Mehrheit gefunden werden will. #StopDeportation
Erreicht haben wir also nicht alle Forderungen - doch auch viel mehr als nichts. Wir danken allen Mitgliedern des Stadtrates, die nun für den Antrag, für einen sicheren Hafen Erfurt in dieser Form gestimmt haben.
An alle Unterstützer*innen, die unseren offenen Brief unterstützt, uns auf der Straße, im Aktionsmonat und während unserer Online-Kampagne #OpenErfurt begleitet haben: Danke!
Das ist erst der Anfang eines Prozesses hin zu einem tatsächlichen sicheren Hafen Erfurt. Wir kämpfen weiter für legale und sichere Fluchtwege, für Bewegungsfreiheit für alle!