Region: Bayern
Wissenschaft

Für den Erhalt und die Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften in Bayern

Petent/in nicht öffentlich
Petition richtet sich an
Bayerische Staatsregierung, Petitionsausschuss des bayerischen Landtages

8.788 Unterschriften

Der Petition wurde teilweise entsprochen

8.788 Unterschriften

Der Petition wurde teilweise entsprochen

  1. Gestartet 2020
  2. Sammlung beendet
  3. Eingereicht
  4. Dialog
  5. Teilerfolg

Petition richtet sich an: Bayerische Staatsregierung, Petitionsausschuss des bayerischen Landtages

FÜR DEN ERHALT UND DIE STÄRKUNG DER GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN
Das geplante Hochschulinnovationsgesetz der Bayerischen Staatsregierung gefährdet in erheblichem Maße die freie Ausübung der Geistes- und Sozialwissenschaften und den Fortbestand insbesondere kleinerer geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer. Damit diese weiterhin bestehen und zur reichen Fächervielfalt, durch die sich die Wissenschaftslandschaft in Bayern auszeichnet, beitragen können, fordern wir als Studierende, Lehrende und Forschende in den Geistes- und Sozialwissenschaften:
1. die Befreiung der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Grundlagenforschung im Allgemeinen vom Diktat unmittelbarer und ökonomischer Verwertbarkeit.
Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind in besonderem Maße auf Räume und Freiheiten angewiesen, in denen sie Ergebnisse diskursiv entwickeln können. Sie müssen oftmals Wege einschlagen, die zunächst nicht unmittelbar erfolgsversprechend erscheinen, um zu komplexen Ergebnissen zu gelangen und vermeintliche Gewissheiten in Frage stellen zu können. Der ständige Kampf um eine Finanzierung steht einem solchen Prozess diametral entgegen, was selbst für die Grundlagenforschung im Hightech- und MINT-Bereich seine Gültigkeit besitzt.
2. eine materielle wie ideelle Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften, die in einem angemessenen Verhältnis zur Förderung der Hightech- und MINT-Fächer steht.
Hightech- und MINT-Wissenschaften sind für unsere moderne Gesellschaft wichtig. Geistes- und Sozialwissenschaften sind es auch. Sie bedürfen daher einer angemessen hohen Grundfinanzierung durch die öffentliche Hand, da sie nur bedingt Zugriff auf andere Förderquellen besitzen.
3. den Erhalt wissenschaftlicher Exzellenz in den Geistes- und Sozialwissenschaften durch die Sicherung der Existenz von Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen.
Die Exzellenz, die sich Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen im Laufe ihrer Ausbildung und ihres akademischen Berufslebens erwerben, muss durch die Schaffung von verlässlichen und planbaren Berufswegen innerhalb der Wissenschaft erhalten werden, zumal der Wechsel in nicht-akademische Berufsfelder gerade für Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen häufig eine existentielle Bedrohung darstellt.
4. den Erhalt wissenschaftlicher und kultureller Vielfalt an den Hochschulen, insbesondere in Form kleiner geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer.
Die bayerische und deutsche Wissenschaftslandschaft zeichnet sich im internationalen Vergleich besonders durch ihre Fächervielfalt aus. Vor allem die sogenannten ‚kleinen Fächer‘ bedürfen aus diesem Grund eines besonderen Schutzes, da ihre Bedeutung oft nicht nach den üblichen Kriterien größerer Wissenschaften messbar ist.
5. eine Beurteilung der Geistes- und Sozialwissenschaften, die ihren besonderen Eigenheiten gerecht wird, nicht zuletzt im Bereich der Lehre.
Geistes- und Sozialwissenschaften unterscheiden sich in ihren Inhalten und der methodischen Herangehensweise grundlegend von den Hightech- und MINT-Wissenschaften und dürfen daher auch nicht nach den gleichen formalen Kriterien bemessen werden. Auf Grund des besonders intensiven und höchst individuellen Betreuungs- oder Diskursverhältnisses zwischen Studierenden und Lehrenden sind bestimmte Kennzahlen wie etwa die Anzahl an Studierenden oder das Betreuungsverhältnis nur bedingt aufschlussreich für die Qualität der Lehre.
FÜR UNABHÄNGIGE, VIELFÄLTIGE UND KRITISCHE GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN.
Eine Kundgebung der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften findet am 01. Dezember 2020 um 15.00 Uhr auf dem Odeonsplatz in München sowie zeitgleich auf dem Hallplatz in Nürnberg statt.
Eine Langfassung unserer Forderungen findet sich unter folgendem Link: https://bit.ly/3jUbJwR
Weitere Informationen zur Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften finden sich unter https://initiativegus.wordpress.com sowie http://fb.me/InitiativeGuS

Begründung

In Bayern werden gerade entscheidende Weichen für die künftige Ausrichtung der Hochschulen und der Wissenschaftslandschaft der nächsten Jahrzehnte gestellt. Es steht eine tiefgreifende Reform des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG) bevor, die die Hochschulen noch mehr zu eigenständiger unternehmerischer Initiative anhalten und nach dem Leitbild der ‚unternehmerischen Hochschule‘ umgestalten soll. Bereits im Sommer wurde zudem die Verpflichtungserklärung für den Zukunftspakt ‚Studium und Lehre stärken‘ veröffentlicht, in der das bayerische Wissenschaftsministerium die Maßnahmen darlegt, mit der man in den nächsten Jahren nicht nur dauerhaft die Qualität von Studium und Lehre verbessern, sondern auch Bundesmittel in Milliardenhöhe abgreifen will. In beiden Fällen bleibt der Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften nahezu vollständig außen vor, womit sich ein Trend fortsetzt, der in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher zu Tage trat: die Schwächung von Geistes- und Sozialwissenschaften durch deren Unterwerfung unter ein zunehmend ökonomisch orientiertes Wissenschaftsparadigma.
In der Verpflichtungserklärung zum Zukunftspakt ist fast ausschließlich von der Förderung der Hightech- und MINT-Fächer sowie von der Hightech-Agenda zu lesen. Mit keinem Wort werden die Geistes- und Sozialwissenschaften adressiert. Die vom Bundesministerium angedachte Einrichtung von Dauerstellen zur Stärkung der Lehre fällt nahezu ausschließlich in den Bereich der Hightech- und MINT-Fächer – und das obwohl die Einrichtung von verlässlichen Karrieremöglichkeiten angesichts der verschwindend geringen Anzahl angemessener Alternativen außerhalb des akademischen Arbeitsfeldes für Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen von besonderer Relevanz wäre. Nirgends wird der besonderen Form der Wissensvermittlung in den Geistes- und Sozialwissenschaften Rechnung getragen, die sich aus ihrer Beschäftigung mit dem menschlichen Denken und der menschlichen Gesellschaft selbst ergibt und die nicht ohne weiteres anhand der typischen Kennzahlen, wie etwa der Betreuungsrelation oder der Anzahl an Studierenden, mess- und abbildbar ist.
Vor allem aber lässt sich das Leitbild einer ‚unternehmerischen Hochschule‘ nur schwerlich mit dem grundsätzlichen Wesen und der methodischen Herangehensweise der Geistes- und Sozialwissenschaften in Einklang bringen. Ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zeichnen sich oft gerade dadurch aus, dass sie sich nicht immer sofort und unmittelbar verwerten lassen. Manchmal dauert es viele Jahre, bis sich die Bedeutung bestimmter Forschungs- und Lehrergebnisse offenbart. Das gilt insbesondere für viele kleinere geistes- und sozialwissenschaftliche Fachbereiche, die nach unternehmerischen Gesichtspunkten wohl nur bedingt überlebensfähig wären, aber gleichwohl von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung für den Reichtum und die Diversität unserer gesamten Gesellschaft sind. Sie nehmen eine gesellschaftliche Reflexionsfunktion ein, die von den VertreterInnen der ‚instrumentellen Vernunft‘ nur bedingt wahrgenommen werden kann. Auch die Freiheit und der zeitliche Rahmen, einmal in die Irre zu gehen, welche für die Geistes- und Sozialwissenschaften konstitutiv sind, sind nur schlecht vereinbar mit einer auf Rentabilität getrimmten unternehmerischen Praxis. Grundlegendes kann so kaum mehr überprüft oder in Frage gestellt werden.
Die aktuellen Entwicklungen in Bayern sind Ausdruck einer nun bereits über viele Jahre andauernden und besorgniserregenden Entwicklung, im Zuge derer die Legitimation und der Nutzen von Geistes- und Sozialwissenschaften zusehend in Frage gestellt wurden. Es ist Zeit und womöglich eine der letzten Möglichkeiten, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wir sind der Ansicht, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften notwendiger denn je sind und sie daher eine sowohl ideelle wie auch finanzielle Aufwertung verdienen.

Vielen Dank für Ihre Unterstützung

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Angaben zur Petition

Petition gestartet: 02.11.2020
Petition endet: 26.07.2021
Region: Bayern
Kategorie: Wissenschaft

Neuigkeiten

  • Liebe Unterstützer*innen,

    gestern wurde in der Sitzung des Wissenschaftsausschusses im Bayerischen Landtag unsere Petition behandelt. Die Regierungsfraktionen aus CSU und Freien Wählern stimmten dort gegen deren Berücksichtigung im laufenden Gesetzgebungsverfahren. Lediglich als Material soll die Petition der Staatsregierung übergeben werden.

    Zu Beginn der Beratungen sprach sich die CSU-Fraktion sogar dafür aus, die Petition als erledigt anzusehen und ihr damit keine weitere Bedeutung beizumessen. Erst auf massiven Druck sämtlicher Oppositionsfraktionen, welche die Intransparenz und den mangelnden Zeitplan der Hochschulreform kritisierten, konnten sich CSU und Freie Wähler immerhin zu einer Weitergabe der Petition als Materialanhang bewegen... weiter

  • Liebe Unterstützer*innen,

    vor ein paar Wochen hatten wir darüber berichtet, dass unsere Petition nun offiziell beim Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags eingereicht wurde.

    Vor ein paar Tagen erreichte uns nun die Mitteilung, dass die Petition im entsprechenden Fachausschuss, dem Ausschuss für Wissenschaft und Kunst, behandelt werden wird. Der Termin dafür ist Mittwoch, der 27.04.2022, Ort der Sitzung ist Saal N 401 im Maximilianeum. Die Behandlung der Petition wird in öffentlicher Sitzung erfolgen, weswegen die Teilnahme auch für Gäste (unter Einhaltung der geltenden Corona-Beschränkungen) möglich ist. Es ist dazu lediglich eine kurze Anmeldung über das Ausschussbüro (buero-wissenschaftsausschuss@bayern.landtag.de) nötig.

    Wir möchten... weiter

  • Liebe Unterstützer*innen,

    es ist nun schon einige Monate her, dass eine Delegation der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften am 11.11.2021 die knapp 9.000 Unterschriften unserer Petition dem damaligen Wissenschaftsminister Bernd Sibler persönlich überreichen konnte (www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-sibler-hochschulen-hochschulreform-protest-1.5462146; leider teils falsch wiedergegeben).

    Zwar nahm sich der Minister bei diesem Treffen erfreulich viel Zeit, unsere Anliegen zu hören; unsere Bedenken gegenüber dem geplanten Hochschulinnovationsgesetz (HIG) konnte er darin indes nicht ausräumen. Überhaupt schien in den vergangenen Monaten ein gewisser Stillstand in das Gesetzgebungsverfahren gekommen zu sein.

    Seit vergangener... weiter

Bildung sollte ein Selbstzweck sein und nicht dem Zweck dienen, Menschen brauchbar zu machen für die Wirtschaft. Dementsprechend sollte sich der Gegenstand der Universitäten daran orientieren, was den Menschen dazu bringt, sein Potenzial zu entfalten und nicht daran, welchen Sachen man einen "finanziellen Wert" beimessen kann.

Kein echtes Contra-Argument, aber sehr schade, dass die Initiative im Namen nur die Geistes- und Sozialwissenschaften hat. Auch in den Naturwissenschaften gibt es kaum verwertbare Grundlagenforschung, die unter der Ökonomisierung des Bildungssystems leidet. Wer eine Karriere in der reinen Mathematik oder der Stringtheorie verfolgen will, der oder die kann sich auch auf eine lange prekäre Existenz gefasst machen. Wirklich schade, dass auch die Kritiker dieser Ökonomisierung so auch den Mythos perpetuieren, dass Naturwissenschaften automatisch immer verwertbar wären...

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