17.11.2020, 10:23
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Neuer Petitionstext: **FÜR DEN ERHALT UND DIE STÄRKUNG DER GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN**
Damit geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer weiterhin bestehen und zur reichen Fächervielfalt, durch die sich die Wissenschaftslandschaft in Bayern auszeichnet, beitragen können, fordern wir als Studierende, Lehrende und Forschende in den Geistes- und Sozialwissenschaften:
**1. die Befreiung der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Grundlagenforschung im Allgemeinen vom Diktat unmittelbarer und ökonomischer Verwertbarkeit.**
Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind in besonderem Maße auf Räume und Freiheiten angewiesen, in denen sie Ergebnisse diskursiv entwickeln können. Sie müssen oftmals Wege einschlagen, die zunächst nicht unmittelbar erfolgsversprechend erscheinen, um zu komplexen Ergebnissen zu gelangen und vermeintliche Gewissheiten in Frage stellen zu können. Der ständige Kampf um eine Finanzierung steht einem solchen Prozess diametral entgegen, was selbst für die Grundlagenforschung im Hightech- und MINT-Bereich seine Gültigkeit besitzt.
**2. eine materielle wie ideelle Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften, die in einem angemessenen Verhältnis zur Förderung der Hightech- und MINT-Fächer steht.**
Hightech- und MINT-Wissenschaften sind für unsere moderne Gesellschaft wichtig. Geistes- und Sozialwissenschaften sind es auch. Sie bedürfen daher einer angemessen hohen Grundfinanzierung durch die öffentliche Hand, da sie nur bedingt Zugriff auf andere Förderquellen besitzen.
**3. den Erhalt wissenschaftlicher Exzellenz in den Geistes- und Sozialwissenschaften durch die Sicherung der Existenz von Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen.**
Die Exzellenz, die sich Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen im Laufe ihrer Ausbildung und ihres akademischen Berufslebens erwerben, muss durch die Schaffung von verlässlichen und planbaren Berufswegen innerhalb der Wissenschaft erhalten werden, zumal der Wechsel in nicht-akademische Berufsfelder gerade für Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen häufig eine existentielle Bedrohung darstellt. darstellt.
**4. den Erhalt wissenschaftlicher und kultureller Vielfalt an den Hochschulen, insbesondere in Form kleiner geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer.**
Die bayerische und deutsche Wissenschaftslandschaft zeichnet sich im internationalen Vergleich besonders durch ihre Fächervielfalt aus. Vor allem die sogenannten ‚kleinen Fächer‘ bedürfen aus diesem Grund eines besonderen Schutzes, da ihre Bedeutung oft nicht nach den üblichen Kriterien größerer Wissenschaften messbar ist.
**5. eine Beurteilung der Geistes- und Sozialwissenschaften, die ihren besonderen Eigenheiten gerecht wird, nicht zuletzt im Bereich der Lehre.**
Geistes- und Sozialwissenschaften unterscheiden sich in ihren Inhalten und der methodischen Herangehensweise grundlegend von den Hightech- und MINT-Wissenschaften und dürfen daher auch nicht nach den gleichen formalen Kriterien bemessen werden. Auf Grund des besonders intensiven und höchst individuellen Betreuungs- oder Diskursverhältnisses zwischen Studierenden und Lehrenden sind bestimmte Kennzahlen wie etwa die Anzahl an Studierenden oder das Betreuungsverhältnis nur bedingt aufschlussreich für die Qualität der Lehre.
**FÜR UNABHÄNGIGE, VIELFÄLTIGE UND KRITISCHE GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN.**
Eine **Kundgebung** der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften findet am **01. **01\. Dezember 2020 um 15.00** 15\.00** Uhr auf dem **Odeonsplatz in München** sowie zeitgleich auf dem **Hallplatz in Nürnberg** statt.
Eine Langfassung unserer Forderungen findet sich unter folgendem Link: bit.ly/3jUbJwR
Weitere Informationen zur Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften finden sich unter initativegus.wordpress.com initiativegus.wordpress.com sowie fb.me/InitiativeGuS
Neue Begründung: In Bayern werden gerade entscheidende Weichen für die künftige Ausrichtung der Hochschulen und der Wissenschaftslandschaft der nächsten Jahrzehnte gestellt. Es steht eine tiefgreifende Reform des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG) bevor, die die Hochschulen noch mehr zu eigenständiger unternehmerischer Initiative anhalten und nach dem Leitbild der ‚unternehmerischen Hochschule‘ umgestalten soll. Bereits im Sommer wurde zudem die Verpflichtungserklärung für den Zukunftspakt ‚Studium und Lehre stärken‘ veröffentlicht, in der das bayerische Wissenschaftsministerium die Maßnahmen darlegt, mit der man in den nächsten Jahren nicht nur dauerhaft die Qualität von Studium und Lehre verbessern, sondern auch Bundesmittel in Milliardenhöhe abgreifen will. In beiden Fällen bleibt der Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften nahezu vollständig außen vor, womit sich ein Trend fortsetzt, der in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher zu Tage trat: die Schwächung von Geistes- und Sozialwissenschaften durch deren Unterwerfung unter ein zunehmend ökonomisch orientiertes Wissenschaftsparadigma.
In der Verpflichtungserklärung zum Zukunftspakt ist fast ausschließlich von der Förderung der Hightech- und MINT-Fächer sowie von der Hightech-Agenda zu lesen. Mit keinem Wort werden die Geistes- und Sozialwissenschaften adressiert. Die vom Bundesministerium angedachte Einrichtung von Dauerstellen zur Stärkung der Lehre fällt nahezu ausschließlich in den Bereich der Hightech- und MINT-Fächer – und das obwohl die Einrichtung von verlässlichen Karrieremöglichkeiten angesichts der verschwindend geringen Anzahl angemessener Alternativen außerhalb des akademischen Arbeitsfeldes für Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen Sozialwissenschaftler\*innen von besonderer Relevanz wäre. Nirgends wird der besonderen Form der Wissensvermittlung in den Geistes- und Sozialwissenschaften Rechnung getragen, die sich aus ihrer Beschäftigung mit dem menschlichen Denken und der menschlichen Gesellschaft selbst ergibt und die nicht ohne weiteres anhand der typischen Kennzahlen, wie etwa der Betreuungsrelation oder der Anzahl an Studierenden, mess- und abbildbar ist.
Vor allem aber lässt sich das Leitbild einer ‚unternehmerischen Hochschule‘ nur schwerlich mit dem grundsätzlichen Wesen und der methodischen Herangehensweise der Geistes- und Sozialwissenschaften in Einklang bringen. Ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zeichnen sich oft gerade dadurch aus, dass sie sich nicht immer sofort und unmittelbar verwerten lassen. Manchmal dauert es viele Jahre, bis sich die Bedeutung bestimmter Forschungs- und Lehrergebnisse offenbart. Das gilt insbesondere für viele kleinere geistes- und sozialwissenschaftliche Fachbereiche, die nach unternehmerischen Gesichtspunkten wohl nur bedingt überlebensfähig wären, aber gleichwohl von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung für den Reichtum und die Diversität unserer gesamten Gesellschaft sind. Sie nehmen eine gesellschaftliche Reflexionsfunktion ein, die von den VertreterInnen der ‚instrumentellen Vernunft‘ nur bedingt wahrgenommen werden kann. Auch die Freiheit und der zeitliche Rahmen, einmal in die Irre zu gehen, welche für die Geistes- und Sozialwissenschaften konstitutiv sind, sind nur schlecht vereinbar mit einer auf Rentabilität getrimmten unternehmerischen Praxis. Grundlegendes kann so kaum mehr überprüft oder in Frage gestellt werden.
Die aktuellen Entwicklungen in Bayern sind Ausdruck einer nun bereits über viele Jahre andauernden und besorgniserregenden Entwicklung, im Zuge derer die Legitimation und der Nutzen von Geistes- und Sozialwissenschaften zusehend in Frage gestellt wurden. Es ist Zeit und womöglich eine der letzten Möglichkeiten, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wir sind der Ansicht, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften notwendiger denn je sind und sie daher eine sowohl ideelle wie auch finanzielle Aufwertung verdienen.
Unterschriften zum Zeitpunkt der Änderung: 1.349 (1.123 in Bayern)