09.09.2019, 16:33
Sandrine ist von Abschiebung bedroht – schwer traumatisiert, Opfer von Zwangsheirat in Kamerun, knapp dem Tod entronnen, gefoltert und sexuell missbraucht in Libyen, mit ihrem Kind auf die Straße geworfen in Italien – aber mit unbändigem Überlebenswillen sich und ihr Kind in Deutschland in vermeintliche Sicherheit gebracht. In Sicherheit? Sie soll erbarmungslos abgeschoben werden nach Italien – Begründung: Dublin-Fall!
Die Frauengruppe Courage in Tübingen setzt sich für sie ein – und der Freundeskreis Alassa auch. Das Tübinger „Schwäbische Tagblatt“ berichtete über den Fall, sowie die Rote Fahne. Hier die Fakten aus der Pressemitteilung der Tübinger Frauen:
„Mit Empörung und Entsetzen haben wir erfahren, dass unsere Freundin Sandrine M. auf Anordnung des dem Bundesinnenminister Seehofer unterstehenden Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. September nach Italien abgeschoben werden soll. Wegen der sogenannten Dublin III – Verordnung wurde ihr Asylantrag wegen Unzulässigkeit nicht geprüft. Sandrine M. ist 2017 aus Kamerun geflohen und lebt seit etwas mehr als 2 Monate in Tübingen in einer Flüchtlingsunterkunft.
Sandrine M. ist zum einen aus geschlechtsspezifischen Gründen geflohen zum anderen vor dem im Nordwesten Kameruns herrschenden Bürgerkrieg. Kaum jemand in Deutschland weiß, dass dort dieser erbitterte Bürgerkrieg herrscht, ein Erbe des Kolonialismus. Nach einem langjährigen Befreiungskampf erlangten 1960 die ehemals französischen und englischen Kolonien die Unabhängigkeit und die Republik Kamerun wurde gegründet. Aufgrund andauernder Repression und Benachteiligung durch die diktatorische Regierung entwickelten sich Unabhängigkeitsbestrebungen der englischsprachigen Minderheit für ein freies Ambazonien in den nordwestlichen und südwestlichen Regionen, die blutig durch die Regierung unterdrückt werden. Mit Unterstützung Frankreichs, der USA und auch der deutschen Regierung werden Oppositionelle liquidiert, gefoltert und eingesperrt, Dörfer überfallen und niedergebrannt, Frauen vergewaltigt und mit ihren Kindern erschossen.
Sandrine ist Opfer einer Zwangsheirat mit einem wesentlich älteren Mann. Sie entkam dieser Zwangsehe und lebte mit ihrem Lebensgefährten und ihren Kindern zusammen. Aufgrund der Zwangsehe konnte sie nicht offiziell heiraten. Ihr Lebensgefährte wurde Opfer des Bürgerkriegs. Sie selbst konnte bei dem Überfall mit ihrer Tochter fliehen. Die Familie ihres Mannes gab ihr die Schuld an seinem Tod und drohte, sie zu ermorden. Ebenso bedroht sie die Familie des ersten Mannes mit dem Tod. Um zu überleben, musste sie fliehen. Auf der Flucht war sie in Libyen im Gefängnis massiver Gewalt und Vergewaltigung ausgesetzt. Bei der Überfahrt nach Italien sah sie andere Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. In Italien wurde ihr keine Hilfe gegeben und sie auf die Strasse gesetzt. Im Kampf ums Überleben floh sie weiter nach Deutschland.
Sandrine M. ist durch ihre Erlebnisse schwer traumatisiert und braucht dringend einen sicheren Ort und psychotherapeutische und psychiatrische Hilfe. Nichts davon ist in Italien gegeben. Seit den neuen Gesetzen vom 1.12. 2018 gibt es keine Garantie für Hilfe, Unterkunft und Therapie für Flüchtlinge. Daher empfiehlt z.B. die Schweizer Flüchtlingshilfe (11. Januar 2019) keine – besonders keine verletzlichen - Personen nach Italien abzuschieben.
Wir fordern: Sandrine muss in Tübingen bleiben!
Tübingen muss seinen Ruf, besonders frauenspezifische Fluchtgründe zu achten, wahr machen und ihr einen sicheren Platz bieten!
Kommt zur Solidaritätskundgebung am 19. September um 17.00 Uhr auf dem Holzmarkt in Tübingen.“