07.07.2023, 13:37
Sehr geehrte Petentinnen und Petenten,
sehr geehrte Unterstützerinnen und Unterstützer,
nach fast 14 Jahren Haft (Februar 2009 – August 2022)
und annähernd einem weiteren Jahr der Ungewissheit bis zum Beginn des 3. Gerichtsprozesses Anfang Juni 2023, ist Manfred Genditzki endlich von schwersten strafrechtlichen Anklagen freigesprochen worden.
Das Gericht hatte sich bereits im Mai 2022 in fünf Anhörungstagen (Probationsverfahren) über die Argumente der Sachverständigen beider Seiten einen Überblick verschafft, warum der ihm unterstellte Mord mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Unfall gewesen ist.
Diesen Argumenten der Verteidigung von RA Regina Rick ist es einerseits zu verdanken, dass das Gericht nunmehr zu einer neuen, diametral anderen Entscheidung, einem Freispruch, gekommen ist.
Andererseits hatte das Gericht auch nochmals durch Vernehmung von Zeugen aus den beiden ersten Prozessen deren Aussagen neu bewertet.
Bei einer genaueren Hinterfragung der Behauptungen der Zeugen stellten sich nunmehr viele Aussagen als unhaltbar dar. Es fehlten bei den allermeisten Aussagen die Belege für die Behauptungen. Erstaunlicher Weise hat erst das dritte Gericht fein zwischen Behauptung und Tatsache unterschieden und Behauptungen nicht mehr als hinreichend akzeptiert.
Dies war in den beiden ersten Prozessen nicht der Fall.
Und so kam es dann, dass die Staatsanwaltschaft, die bisher jegliche Infragestellung der Urteile oder eine Verfahrenswiederaufnahme abgelehnt hatte und selbst die Probationsergebnisse in Frage stellte, den Argumenten der Verteidigung und den der Sachverständigen zustimmen mußte und am Montag, dem 3. Juli auf Freispruch plädierte.
Am Freitag, dem 7. Juli verkündete nun die Vorsitzende Richterin des LGM I Frau Ehrl den Freispruch und begründete ihn u.a. mit neuen technischen Analyse-Möglichkeiten, stellte allerdings auch die Beweisführung der beiden ersten Urteile in Frage.
Kritisch zu sehen ist sicherlich ihre heutige Selbstentlastung bei der Ablehnung des Wiederaufnahmeantrages im Dezember 2020, in dem sie sagte, dass sie durch das sogenannte Additionsverfahren (Vorliegen der gesetzlichen Grundlage) gebunden gewesen sei.
Wie es dann jedoch zu einer Anordnung der Wiederaufnahme durch das OLG München kommen konnte, u.a. mit der Begründung, die Argumente der Verteidigung müßte sich das LGMI schon genauer anschauen, entzieht sich einer allgemeinen Logik.
Richterin Ehrls persönliche Entschuldigung an den nunmehr freigesprochenen Manfred Genditzki für sein und das seiner Familie erlittene Leid, als auch ihre Anerkennung von RAin Rick für ihr eindrucksvolles, 10-jähriges Durchhaltevermögen, war dann aber doch noch ihr Versuch, das enorme juristische Desaster wenigstens verbal abzufedern.
Das gesamte Verfahren zeigte erhebliche Defizite der Strafprozessordnung in Deutschland auf:
Das LGMI hatte zuvor die Wiederaufnahme des Verfahrens im Dezember 2020 nach 1 ½ Jahren der Prüfung schlicht abgelehnt, ohne sich die Begründung der Verteidigung von RAin Rick genauer anzuschauen. Erst der Beschluss des OLG vom September 2021 auf Beschwerde der RAin Rick führte dazu, dass es durch das LGMI überhaupt zur Probation kam. Beim gleichen Gericht LGMI. Am gleichen Gerichtsstandort wie in den beiden vorangegangenen Prozessen. Unabhängigkeit als eine der Voraussetzungen für so etwas wie Objektivität sieht anders aus.
Wenn es eine Hoffnung gibt, dann die, dass, bei aller Freude über die singuläre Gerechtigkeit und Freilassung von Manfred Genditzki, die bei den Juristen wohl bekannten Mängel der Strafprozessordnung sukzessive korrigiert werden. Damit Fehlurteile künftig immer weniger stattfinden und die Justiz über ihre eigene Fehlerhaftigkeit nachdenkt, damit, wie von der Gesellschaft allgemein verlangt, Lern- und Veränderungsprozesse stattfinden können.
Hierzu gehört auch eine Entschuldigungs- und Entschädigungskultur zugunsten der von Justiz-Irrtümern betroffenen Menschen, die wahrlich menschlich großzügiger und schneller entschädigt werden sollten. Für Strafverfolgung und Bestraffung werden hohe Aufwendungen vorgenommen, für Entschädigungen minimalste. Dies ist für eine sich fair und anständig bemühende Justiz-Politik in Deutschland ein nicht akzeptables Ungleichgewicht.
Zum Abschluss möchte ich mich sehr herzlich bei Ihnen bedanken für Ihr Interesse und Engagement, den Rechtsfall Manfred Genditzki zu verfolgen, zu begleiten, finanziell zu unterstützen und ihn so nicht in Vergessenheit fallen zu lassen.
Nur in einer engagierten, offenen, teilhabenden Gesellschaft gelingen Veränderungen zu mehr Gerechtigkeit, auch wenn der Weg häufig lang, mühsam und zäh und keineswegs sicher ist.
Bitte verfolgen Sie das große Thema „Gerechtigkeit“ unbedingt weiterhin, denn Ihr Einsatz für eine funktionierende Gewaltenteilung ist eine der Demokratie Grundlagen und Voraussetzung für eine „gute“ Gesellschaft.
Ihnen mit bestem Gruß
Stanislaus Benecke