07.11.2018, 22:48
DER BERLINISCHE KREIDEKREIS
Reinickendorf: CDU und AfD sind sich in der Stärkung der Gymnasien einig – auf Kosten der ISS ohne gymnasiale Oberstufe. Bildungsungleichheit wird weiterhin von politischen Fehlentscheidungen bestimmt.
Im April 2017 stellte die Berlin-Studie des Deutschen Instituts für Pädagogische Forschung (DIPF) fest, dass Integrierte Sekundarschulen (ISS) ohne gymnasiale Oberstufe signifikant benachteiligt sind.
Im Fazit der Studie heißt es: „Das Vorhandensein einer gymnasialen Oberstufe stellt nach wie vor das zentrale institutionelle Merkmal dar, nach dem sich die nichtgymnasialen Schulen unterscheiden. In der Weiterentwicklung stabiler und nach außen sichtbarer Kooperationen ist für die Schulen ohne eigene Oberstufe auch weiterhin eine zentrale Entwicklungsaufgabe zu sehen.“
Mehr als ein Jahr später gab Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) letzte Woche bekannt, das Schulgesetz umfassend zu erneuern. In dem Entwurf für das Abgeordnetenhaus ist fixiert, dass die ISS ohne gymnasiale Oberstufe zukünftig in der Einrichtung einer eigenen gymnasialen Oberstufe oder Oberstufe im Verbund unterstützt werden sollen. Dies sei Wunsch vieler Eltern, die sich kritisch zu den Brüchen in der Schullaufbahn ihres Kindes geäußert haben.
Ein wesentlicher Kritikpunkt vieler Eltern: es fehlen Plätze an den ISS mit gymnasialer Oberstufe. Für viele Eltern ist das 13jährige Abitur an einer ISS ein Alternative zum Leistungsdruck an den Gymnasien. Durch fehlende Plätze an den ISS mit gymnasialer Oberstufe sind sie gezwungen, ihr Kind an einem Gymnasium anzumelden. Mit Nichtbestehen des Probejahrs am Gymnasium müssen die Schülerinnen und Schüler das Gymnasium am Ende der 7. Klasse verlassen. Damit steht ihnen oft ein Schulwechsel an eine ISS ohne Oberstufe bevor. Allein im Norden von Reinickendorf waren davon im vergangenen Jahr 110 Schülerinnen und Schüler betroffen.
Zu Recht kritisieren Eltern die Brüche im Bildungsweg ihres Kindes, denn auch mit der Berechtigung zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe am Ende der 10. Klasse können Schülerinnen und Schüler einer nicht-gymnasialen ISS nur sehr selten an eine ISS mit gymnasialer Oberstufe wechseln. Es fehlen dort schlichtweg die Plätze.
Seit einem Jahr bemühen sich die Carl-Bosch-Schule und die Carl-Benz-Schule auf diese Schieflage im Bezirk mit der Einrichtung einer Oberstufe im Verbund für den Reinickendorfer Norden zu reagieren. Mit dem bevorstehenden Erweiterungsbau der Carl-Bosch-Schule könnten die notwendigen Räumlichkeiten für eine Oberstufe im Verbund geschaffen werden. Ein umfassendes Konzept für eine gymnasiale Oberstufe liegt dem Bezirk bereits vor. Auch Eltern und Schülerinnen und Schüler beider Schulen unterstützten das Vorhaben durch eine Petitionsaktion und sammelten 2847 Unterschriften im Bezirk. Politischen Zuspruch erfährt der Antrag beider Schulen zudem durch Bündnis 90/Die Grünen, die SPD, die Linken und die FDP.
In der Tagung des Schulausschusses am 04.10.2018 lehnten CDU und AfD den Antrag auf die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe im Verbund allerdings ab. In der Begründung hieß es, dass es genügend gymnasiale Plätze in Reinickendorf gebe und die Finanzierung der gewünschten Erweiterung um eine gymnasiale Oberstufe nicht gesichert sei. Im absurden Alleingang beider Parteien wird stattdessen eine Unterstützung der Aufbaustufen an Gymnasien in Betracht gezogen, also eine Wiedereinführung des 13jährigen Abiturs. Ein politisches Vorhaben, das weder den Empfehlungen der Schulaufsicht noch den Absichten der Senatsverwaltung entspricht.
Grotesk erscheint dieses politische Schauspiel außerdem vor dem Hintergrund der vorangegangenen Sitzung des Schulausschusses, in der die Notwendigkeit des Ausbaus der Oberstufen im Verbund für die Region auch von Seiten der CDU und AfD bestätigt wurde. Die bildungspolitische Kehrtwende beider Parteien hin zur Stärkung der Gymnasien verfehlt damit nicht nur die Bedürfnisse der Betroffenen, sondern widerspricht darüber hinaus den eigenen Zugeständnissen zur Schulsituation in Reinickendorf.
Auch die Zweifel einer Mutter an der pädagogischen Ausrichtung dieses politischen Vorhabens der CDU und AfD, dass ein Kind nach dem Scheitern am Gymnasium in der 7. Klasse und dem zwingenden Wechsel an eine nicht-gymnasiale ISS, nach drei Jahren genau dorthin wieder zurückkehren soll, um sein Abitur erfolgreich abzulegen, wurden nicht gehört.