04.03.2016, 12:49
Der ausführliche Richterspruch aus Münster liegt vor, aber die Diskussion um das Haus von Christa Liedtke geht weiter.
Kürten -
In der schriftlichen Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts Münster wird die Arbeitsweise der Kreisverwaltung Rhein-Berg deutlich kritisiert.
Die Behörde habe „das ihr eingeräumte Ermessen erkannt, es aber nicht in dem erforderlichen Umfang ausgeübt“, lautet die Kernaussage des 14-seitigen Urteils. Es geht um eine Stichtagsregelung, mit der die Kreisverwaltung sich nach Auffassung des Gerichts nicht auseinandergesetzt habe, obgleich die historischen Umstände dies verlangt hätten.
Die Abrissverfügung des Kreises für das Haus von Christa Liedtke in Kürten erklärten die Richter aus Münster für rechtswidrig – obwohl es sich rein formell um einen Schwarzbau handelt. Das bedeutet das Ende eines Rechtsstreits, der die 77-jährige Hausbewohnerin und die gesamte Gemeinde Kürten vier Jahre lang in Atem gehalten hat. Aber noch nicht das Ende einer bürokratischen Odyssee.
Laut Gericht sei es in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Bauaufsichtsbehörden bei der Bekämpfung von illegalen Bauten „im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung Stichtagsregelungen zugrunde legen dürfen“. Es sei zulässig, wenn die Behörde nur gegen Schwarzbauten vorgehe, die nach einem bestimmten Zeitpunkt errichtet worden seien.
Eine solche Regelung empfiehlt der Senat insbesondere für Bauten, die vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet worden sind. Das trifft auf das über 70 Jahre alte Haus von Christa Liedtke zu, aber auch auf viele andere Gebäude im Bergischen Land.
Das Münsteraner Gericht übt deutliche Kritik an der Arbeitsweise des Kreises.
In Bezug auf den Kürtener Schwarzbau habe die Behörde „das ihr eingeräumte Ermessen erkannt, es aber nicht in dem erforderlichen Umfang ausgeübt“.
Stichtagsregelung könnte bei weiteren Schwarzbauten zutreffen
Denn in den Kriegs- und Nachkriegszeit wurden in ländlichen Gebieten viele Notunterkünfte errichtet. Allein in der kleinen Gemeinde Kürten soll es 50 solcher Gebäude geben, die im baulich besonders geschützten Außenbereich stehen. Fünf Häuser sind in den vergangenen Jahren abgebrochen worden: Ohne Baugenehmigung besteht kein Bestandsschutz. Damit hat der Kreis seinerzeit sein striktes Vorgehen gegen solche Schwarzbauten begründet. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse Baurecht angewandt werden.
Laut Aussage des Kreises existiere keine Stichtagsregelung, auf die man hätte zurückgreifen können. Was es laut Kreisverwaltung gebe, seien lediglich Einzelfälle, für die Stichtage genannt worden seien. Von dieser Einzelfall-Möglichkeit habe der Kreis „selbstverständlich“ gewusst, doch dies als mögliche Lösung im Fall Liedtke ausgeschlossen und deshalb nicht weiterverfolgt. Bei seiner Einschätzung der Sachlage beruft sich der Kreis auf eine erfolglose Petition der Gemeinde Kürten aus dem Jahr 2014. In seiner Antwort hatte NRW-Bauminister Michael Groschek einer Amnestie für Bauten aus der Kriegszeit eine klare Absage erteilt. Die Kreisverwaltung prüfe jetzt, wie sie auf das Urteil reagieren werde. Das Oberverwaltungsgericht hat eine Revision nicht zugelassen. Im Gespräch mit dieser Zeitung hatte Landrat Hermann-Josef Tebroke ausgeschlossen, dagegen beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einzulegen.
Das Münsteraner Gericht übt deutliche Kritik an der Arbeitsweise des Kreises.
In Bezug auf den Kürtener Schwarzbau habe die Behörde „das ihr eingeräumte Ermessen erkannt, es aber nicht in dem erforderlichen Umfang ausgeübt“.
NRW-Bauministerium weicht Frage aus
Das NRW-Bauministerium weicht der konkreten Frage dieser Zeitung aus, warum eine Verjährungsfrist nicht diskutiert worden ist. Stattdessen lautet die knappe Antwort: „Welche Konsequenzen nun aus dem Urteil des OVG für den Fall Liedtke und möglicherweise auch weitere Fälle in NRW gezogen werden müssen, wird das Ministerium prüfen und anschließend entsprechend festlegen.“ Dazu solle auch zeitnah ein Gespräch mit Vertretern des Rheinisch-Bergischen Kreises stattfinden.
Johannes Maubach, Rechtsanwalt und ehemaliger Bürgermeister von Odenthal, fordert Landrat Hermann-Josef Tebroke jetzt in einem Brief auf, „unter Beachtung von transparenten nachvollziehbaren Überlegungen und Kriterien eigene Entscheidungen zu treffen und offensiv zu werden.“ In drei dem Verfahren Liedtke ähnlich gelagerten Fällen habe Maubach Tebroke in den letzten Jahren vergeblich aufgefordert, den Ermessensspielraum zu nutzen.