03.11.2021, 13:07
Ergänzung eines weiteren Erstunterzeichners
Neuer Petitionstext:
Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte der Stadt Bautzen/Budyšin,
im Oktober hat der Hauptausschuss des Stadtrats der Errichtung eines Denkmals für Otto von Bismarck auf dem Czorneboh/Čornobóh zugestimmt. In der Folge regte sich deutlicher Protest vor allem seitens des Sorbischen Instituts und der Domowina – Bund Lausitzer Sorben, aber auch von anderen Akteuren.
Wir, die Unterzeichnenden dieser Petition, schließen uns diesem Protest an und bitten Sie um eine Aufhebung dieses Beschlusses. Beschlusses.
Die fast drei Meter hohe Bismarck-Statue auf dem symbolträchtigen Czorneboh/Čornobóh wurde 1904 errichtet und 46 Jahre später in einem Akt des Bildersturms unwiederbringlich zerstört. Seit mittlerweile mehr als 70 Jahren ist ihr Platz leer. Nichts spricht gegen eine Aufarbeitung dieser historischen Episode und eine Beschäftigung mit der widersprüchlichen Person Bismarcks – in all ihren Facetten. Den Nachbau eines Heldenstandbildes aus der Kaiserzeit halten wir, die Unterzeichnenden, jedoch für keinen angemessenen Umgang mit diesem historischen Erbe. Auch eine kritische Informationstafel kann nicht die symbolische Wirkung aufheben, die die Neuerrichtung eines fast drei Meter hohen preußischen Feldherrendenkmals an repräsentativer Stelle ausstrahlen würde. würde.
Otto von Bismarck war bereits zu seinen Lebzeiten – und ist bis heute – eine höchst umstrittene und zwiespältige Persönlichkeit. Mit Blick auf sein politisches Wirken und dessen Folgen genügt es im Jahr 2021 umso weniger, ihn auf seine Rolle als „Reichsgründer“ und Initiator der deutschen Sozialgesetzgebung zu reduzieren, um die Errichtung eines Denkmals zu begründen. Denn das hieße, nahtlos Anschluss zu suchen an den übersteigerten Bismarckkult des frühen 20. Jahrhunderts, in dessen Kontext auch das einstige Bautzener Denkmal entstand. Ausgeblendet blieben dabei erneut die repressiven und autoritären Aspekte seiner Politik als preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler. Bismarck steht auch für eine Politik von „Blut und Eisen“, für die Geringschätzung von Parlamenten, für das Sozialistengesetz, für den Kulturkampf sowie für Deutschlands Einstieg in die Kolonialpolitik. Fortschrittliche gesellschaftliche Aufbrüche, namentlich die Arbeiter- und die Frauenbewegung, waren demgegenüber fortlaufend Verdächtigungen und Verfolgungen ausgesetzt. ausgesetzt.
Als aggressiv zeichnete sich insbesondere die preußische Politik gegenüber den in Deutschland lebenden nationalen Minderheiten wie Sorben und Polen aus. Auch sie war durch permanentes Misstrauen und Repressionen gekennzeichnet. Maßnahmen, wie die Zurückdrängung und Abschaffung des sorbischen und polnischen Schulunterrichts, Überwachung und Verbote von Vereinen und Veranstaltungen der nationalen Minderheiten, die Ausweisung zehntausender Polen sowie die bewusste Forcierung deutscher Ansiedlungen in mehrheitlich polnisch bewohnten Landesteilen Preußens zielten auf eine rasche „Germanisierung“ dieser Gebiete und eine erzwungene Assimilation ihrer Bevölkerung. Im Verhältnis zwischen Deutschen und Sorben sowie zwischen Deutschen und Polen hat diese Politik nicht nur unmittelbar Spannungen und Konflikte geschaffen, sondern auch langfristig Verletzungen erzeugt und Vertrauen zerstört. zerstört.
Als Politiker steht Bismarck damit konträr zu unserem heutigen Selbstverständnis als demokratische, weltoffene und tolerante Gesellschaft. Ihm im Jahr 2021 von neuem ein Denkmal zu errichten ist kein Zeichen der Geschichtsaufarbeitung, sondern Ausdruck einer verfehlten, rückwärtsgewandten Erinnerungskultur. Die Entscheidung des Hauptausschusses steht zudem im Widerspruch zur Hauptsatzung der Stadt Bautzen/Budyšin, in deren erstem Paragraphen sich die Stadt selbst und alle ihre Organe verpflichtet, im Sinne des Miteinanders zwischen Deutschen und Sorben zu wirken. Statt ein Denkmal für Bismarck zu errichten, sollten wir uns daher vielmehr fragen, wie eine zeitgemäße Erinnerungs- und Gedenkkultur in unserer Stadt und Region aussehen kann.
Neue Begründung:
Daher bitten wir Sie, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, im Interesse des sozialen Friedens in der Stadt, des respektvollen Miteinanders zwischen sorbischen und deutschen Einwohnern sowie eines guten Verhältnisses zu unseren befreundeten Nachbarn in Polen und Tschechien in der gemeinsamen Euroregion Neiße, die Errichtung eines Bismarck-Denkmals auf dem Czorneboh/Čornobóh abzulehnen und den Beschluss des Hauptausschusses aufzuheben.
Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner:
Jan Bilk, Vorsitzender des Sorbischen Künstlerbundes
Jan Budar, Direktor der Stiftung für das sorbische Volk
Měrana Cušcyna, Autorin
Róža Domašcyna, Schriftstellerin
Benedikt Dyrlich, Schriftsteller und Publizist
Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters
Sylvia Janze
Silke Klewin, Leiterin der Gedenkstätte Bautzen
Dr. Uwe Koch, Soziologe und Vorsitzender der Mättig-Stiftung Bautzen Bautzen
Tomaš Kreibich-Nawka, Intendant des Sorbischen National-Ensembles Bautzen
Mato Krygaŕ-Krüger
Dr. Robert Lorenz, Europäischer Ethnologe und Ausstellungskurator
Jürgen Matschie, Fotograf
Dr. Hans Mirtschin, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger
Julian Nyča, Kulturwissenschaftler, Mitglied des Sächsischen Sorbenrates
Dr. Friedrich Pollack, Historiker
Tilmann Popp, Superintendent im Kirchenbezirk Bautzen-Kamenz
Dr. Peter Paul Straube, 1. Vorsitzender des Vereins Ökumenischer Domladen Bautzen e.V.
Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina – Bund Lausitzer Sorben
Christian Tiede, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde St. Petri
Kai Wenzel, Kunsthistoriker
Unterschriften zum Zeitpunkt der Änderung: 131 (42 in Bautzen)