01.11.2013, 14:56
Gegen Inklusion um jeden Preis: Eltern in Niedersachsen kämpfen für den Erhalt der Sprachheilschulen
Maike Buschhüter sammelt fleißig Unterschriften
Maike Buschhüter sammelt fleißig Unterschriften
Maike Buschhüter geht von Geschäft zu Geschäft, um für die Petition zum Erhalt der Sprachheilschulen zu werben
Maike Buschhüter geht von Geschäft zu Geschäft, um für die Petition zum Erhalt der Sprachheilschulen zu werben
(jd). Inklusion bedeutet, behinderten Menschen die uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. An den niedersächsischen Schulen wurde die Inklusion zu Beginn dieses Schuljahres eingeführt. Schüler mit Handicap haben einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht mit nicht-behinderten Schülern. Doch nicht alle Eltern behinderter Kinder sind mit den neuen Regelungen zufrieden. So gibt es Kritik an der Abschaffung der Sprachheilschulen und -klassen.
"Ich finde es unverantwortlich, dass die Landesregierung auf Druck der Grünen die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Sprache ab dem Schuljahr 2014/15 zum Auslaufmodell deklariert hat", sagt Maike Buschhüter. Ihr Sohn Linus ist im Sommer in eine Sprach-Förderschule eingeschult worden und gehört zu den letzten Schülern, die diese Schulform besuchen dürfen. Sie solidarisiert sich mit den Eltern, deren Kinder dieses Glück nicht haben.
Dafür geht Buschhüter Klinkenputzen: Sie legt in Geschäften Unterschriftenlisten aus, bittet die Inhaber, ihr Anliegen zu unterstützen. Im Moment opfert die junge Frau aus Wangersen jede freie Minute für eine landesweite Initiative zum Erhalt der bisherigen Sprachförderung. Schließlich drängt die Zeit: Bis Ende November müssen 50.000 Protest-Unterschriften gesammelt werden, damit sich der Landtag mit dem Thema befasst.
Niedersachsenweit gibt es derzeit zehn Sprachheilschulen und knapp 70 Sprachheilklassen an Förderschulen und allgemeinen Schulen. Diesen Einrichtungen für Schüler mit starken sprachlichen Defiziten droht im Zuge der Inklusion das Aus. Ab dem kommenden Schuljahr sollen keine neuen Schüler mehr aufgenommen werden. In dem 2012 als Kompromiss von CDU, FDP und SPD beschlossenen "Inklusionsgesetz" war zunächst nur vorgesehen, dass lediglich Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen zugunsten einer gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne Handicap aufgegeben werden sollen. Doch die Grünen haben im Koalitionsvertrag mit der SPD durchgesetzt, dass auch die Sprachförderung künftig inklusiv betrieben wird.
Grundschulen können sprachspezifische Förderung kaum leisten
Dagegen laufen nun die betroffenen Eltern Sturm: Sie haben die Petition "Erhaltet die Förderschulen Sprache" auf den Weg gebracht. Nach Mitteilung der Eltern-Initiative, die ihrer Aktion das Motto "Sprache ist mehr als Worte" gegeben hat, wird die Sprachtherapie an den Regelschulen nur ein Minimum dessen umfassen, was die Förderschulen bislang an sprachspezifischer Arbeit geleistet haben.
Hinzu kommt, dass an einer inklusiven Grundschulklasse bis zu 24 Schüler unterrichtet werden dürfen. Eine Sprachheilklasse hingegen umfasst höchstens 14 Schüler. Die Befürchtung der Eltern ist groß, dass ihre Kinder, die aufgrund ihrer Kommunikations-Defizite auch Verzögerungen in der allgemeinen Entwicklung wie beispielsweise beim Sozialverhalten aufweisen, in einem normalen Klassenverband auf der Strecke bleiben.
Diese Angst treibt auch Maike Buschhüter um: "Die Sprachprobleme meines Sohnes Linus sind so erheblich, dass er kaum in der Lage ist, Kontakt zu anderen Kindern aufzunehmen", berichtet sie. Wie zuvor im Sprachheilkindergarten benötige ihr Sohn eine kleine überschaubare Gruppe, in der er sich geborgen fühle. Das könne eine "normale" Schule nicht bieten. "Dort würde mein Kind untergehen", meint die besorgte Mutter.
Schließlich gehe es bei ihrem Linus nicht um irgendwelche Aussprachefehler, die ein Logopäde therapieren könne, so Buschhüter: "Ihm fehlt jeglicher Zugang zu seiner Muttersprache." Er könne viele Gegenstände nicht benennen, habe Probleme mit abstrakten Begriffen und sei nicht in der Lage, komplexere Sätze zu verstehen. "Linus erlernt an der Sprachheilschule jetzt die Gebärdensprache der Taubstummen, um bei der Lautbildung den Zusammenhang zwischen Schrift und Sprache zu erfassen.
Buschhüter ist davon überzeugt, dass Kinder mit starken Defiziten bei der sprachlichen Entwicklung an einer Förderschule besser aufgehoben sind als an einer Regelschule. "Dort gibt es für jede Klasse nur zwei Förderstunden pro Woche", beklagt sich die Mutter: "Das ist viel zu wenig." In den Sprachheilklassen hingegen sei der gesamte Unterricht auf die Probleme der Kinder zugeschnitten. Es könne gezielt therapiert werden. Buschhüter ist der Ansicht, dass Inklusion um jeden Preis den betroffenen Schülern schade.
Nach Buschhüters Ansicht sind die Sprachheilklassen im Sinne der Inklusion ein wichtiges Sprungbrett: Die Arbeit, die dort geleistet werde, erleichtere vielen sprachgestörten Schülern den späteren Übergang