26.09.2013, 09:36
Offener Brief
Stellungnahme zur geplanten Abschaffung der Förderschulen und Förderklassen Schwerpunkt Sprache
Folgenden Adressaten wurde der Brief zugeleitet
Frau Kultusministerin Frauke Heiligenstadt
Mitglieder des Kultusausschusses des niedersächsischen Landtages
Fraktionsvorsitzende der Fraktionen des niedersächsischen Landtages
Elternvertretungen der Förderschulen Schwerpunkt Sprache und der Sprachheilkindergärten
Schulträger der Förderschulen Schwerpunkt Sprache
als Pressemitteilung über Presseverteiler
Sehr geehrte Damen und Herren,
Mit Besorgnis nehmen Lehrkräfte und Eltern die aktuellen politischen Verlautbarungen aus dem niedersächsischen Landtag bzw. der schulpolitischen Sprecher der Regierungsparteien zur Auflösung der Förderschulen und Förderklassen für den Bereich Sprache zum Schuljahr 2014/15 zur Kenntnis.
Ein nach langen Diskussionen und vielen Stellungnahmen der Verbände mit den Stimmen der SPD verabschiedetes Schulgesetz, das den Erhalt des Elternwahlrechtes und den Bestand auch der Förderschulen Schwerpunkt Sprache gewährleisten sollte, wird bereits ein Jahr nach seiner Verabschiedung wieder in Frage gestellt.
Sind die Ergebnisse der fachlichen Diskussionen plötzlich nicht mehr gültig?
Haben Schulgesetze ein so herabgesetztes Verfallsdatum?
Wo bleibt die Glaubwürdigkeit der Politik für Betroffene und deren Eltern (!)?
Immer wieder wurde auf die spezifischen Förderbedürfnisse sprachentwicklungs-beeinträchtiger Kinder und Jugendlicher hingewiesen, insbesondere auch durch die Eltern betroffener Kinder.
Die Notwendigkeit vorübergehender rehabilitativer Beschulungsangebote und gut ausgebauter Mobiler Dienste im Bereich Sprache wurde herausgearbeitet und fand zunehmend Gehör.
Die Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik (dgs), die schulischen Einrichtungen für diesen Schwerpunkt und auch die Eltern hatten den Eindruck, dass verstanden wurde, dass eine einfache „sonderpädagogische Grundversorgung“ für schwer beeinträchtige Kinder nicht ausreichen wird.
Dabei geht es der dgs nicht um die Ablehnung der inklusiven Schule, es geht vielmehr um die hohe Gewichtung konzeptioneller Arbeit, damit die inklusive Schule gelingen kann!
Hierbei hilft eine überstürzte Einführung mit minimalistischen Ausstattungen nicht weiter und ist eher kontraproduktiv!
Eine fachspezifische sonderpädagogische Förderung muss den Schülerinnen und Schülern auch im allgemeinen Schulsystem zur Verfügung gestellt werden, damit eine Chancengleichheit überhaupt gewährleistet wird.
Besonders im Grundschulbereich und im Vorschulbereich muss in die qualifizierte Förderung und Beratung investiert werden. Dort werden die Grundlagen für die positive Lernentwicklung aller Kinder gelegt. Bei entwicklungsverzögerten Kindern ist diese Förderung beim Start in die Schullaufbahn besonders wichtig.
Diese Basisarbeit wird bei der derzeitigen Ausgestaltung der inklusiven Schule aber eher vernachlässigt!
Nach der derzeitigen Erlasslage geht die gute Ausstattung mit Förderstunden in die weiterführenden Schulen bei jetzt gleichzeitig geplanter Auflösung der Förderschulen Schwerpunkt Sprache.
Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist dies ein Trugschluss. Die Förderung fehlt genau dort, wo sie eigentlich ansetzen muss!
Alle fachlichen Argumente scheinen aber derzeit keine Rolle zu spielen.
Statements und Diskussionen gab es ja zur Genüge!
Zu vermuten ist: Die Förderschullehrerstunden der Förderschulen Schwerpunkt Sprache werden für die Ausstattung der flächendeckenden sonderpädagogischen Grundversorgung in Niedersachsen benötigt.
Die Umsetzung der sonderpädagogischen Grundversorgung, die als Einführung der inklusiven Schule verkauft wird, findet also auf dem Rücken sprachbehinderter Kinder statt.
Deren Förderbedürfnisse bleiben weitgehend unberücksichtigt.
Unter diesen Vorzeichen kann bereits jetzt prognostiziert werden, dass Schülerinnen und Schüler mit schweren sprachlichen Beeinträchtigungen ihr Potential nicht mehr ausreichend entwickeln können und in geringerer Zahl qualifizierende Schulabschlüsse erreichen werden.
Wir können nur immer wieder betonen:
Kinder mit umfangreichen und tiefgreifenden Sprachstörungen sind genauso beeinträchtigt wie Kinder mit Hör- und Sehbehinderungen.
Gesellschaftliche Teilhabe erfolgt zu einem nicht unerheblichen Teil über gelungene Kommunikation.
Eine Sprachstörung betrifft immer den ganzen Menschen und schränkt die Teilhabe ein. Hier gilt es diese Barrieren zur erfolgreichen Teilhabe professionell zu beseitigen. Rehabilitation ist für diese Kinder und Jugendlichen möglich und muss in unserer Gesellschaft auch gewährleistet werden.
Die Förderschulen Schwerpunkt Sprache entsprechen den Anforderungen der Behindertenrechtskonventionen als Durchgangs- und Angebotsschulen.
Der Besuch einer Förderklasse Sprache ist eine zeitlich befristete Maßnahme, die in den meisten Fällen zu einer vollständigen Integration und Teilhabe an der Gesellschaft führt. (