Volksvertreter Pascal Badziong
Stellungnahme zur Petition Gegen die Erhöhung der Grundsteuer um 45%
CDU, zuletzt bearbeitet am 09.07.2021
Fraktionsbeschluss, veröffentlicht von Jan Einig.
Die Entscheidungsgrundlage ist ein Beschluss der Fraktion CDU
Ich lehne ab.
Sehr geehrter Herr Schmidt, sehr geehrte Unterstützer*innen,
mit Ihrer Petition wenden Sie sich gegen die durch den Stadtrat am 10. Dezember 2020 beschlossene Erhöhung der Grundsteuer B. Als Stadtvorstand der Stadt Neuwied beziehen wir gerne Stellung zu Ihrer Eingabe.
Die Stadt Neuwied ist seit vielen Jahren nicht mehr in der Lage, die laufenden Ausgaben zu decken und erwirtschaftet so Jahr für Jahr ein Defizit, das mittlerweile zu einem Schuldenberg von etwa 150 Millionen Euro geführt hat. Fast 95 Millionen der Kredite sind kurzfristige Kassenkredite, die zur Deckung der laufenden Ausgaben benötigt werden.
Seitens der Aufsicht- und Dienstleistungsdirektion (ADD) wird deshalb schon seit mehreren Jahren die Erhöhung der Steuereinnahmen angemahnt. Das wurde in der Vergangenheit von Rat und Verwaltung, unter Hinweis auf die fehlende Finanzausstattung durch das Land für die Kommunen, meist abgelehnt. Die Folge waren langwierige Auseinandersetzungen mit der ADD im Rahmen der Genehmigungsverfahren. So dass die letztendlich genehmigten Haushaltsmittel meist erst spät zur Verfügung standen und die Projekte oft nicht mehr zeitgerecht umgesetzt werden konnten.
Der Haushaltsplan 2020 wurde am 14. April 2020 ohne eine Anhebung der Steuerhebesätze, auch bereits der Corona-Pandemie geschuldet, vom Rat beschlossen. Die ADD hat die Genehmigung mit Schreiben vom 10. Juni 2020 versagt. Von einer Forderung zur Anhebung der Hebesätze der Steuern wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch von Seiten der ADD abgesehen. Auf dem Höhepunkt dieser Auseinandersetzung für den Haushaltsplan des Jahres 2020 erhielt der Oberbürgermeister, Jan Einig, vom Landesrechnungshof im Mai ein Schreiben mit der Aufforderung, den Hebesatz der Grundsteuer B von 420 Punkte auf 814 Punkte anzuheben, um das Defizit auszugleichen. Damit verbunden war die Androhung rechtlicher Konsequenzen.
Diesem Ansinnen, den Beschluss vom April 2020 aufzuheben, haben weder der OB noch der Stadtrat entsprochen. Es folgten langwierige Verhandlungen mit der ADD. Diese endeten damit, dass am 10. September 2020 eine geänderte Haushaltssatzung für das Jahr 2020 beschlossen wurde. Aufgrund der andauernden Corona-Pandemie war weiterhin keine Steuererhöhung vorgesehen
Die Folgen dieser Haushaltspolitik spüren wir seit Jahren an vielen Stellen:
- Aufgrund fehlender Finanzmittel wurden viele Bereiche der Verwaltung personell verkleinert oder nicht den steigenden Aufgaben entsprechend angepasst, so dass in manchen Fachbereichen neben der Aufrechterhaltung des Mindeststandards keine wirkliche Entwicklungsarbeit mehr geleistet werden kann.
- Der Ausbau unserer Kindertagesstätten stagnierte nach einigen Jahren des Aufbaus durch die GSG, nachdem der Gesetzgeber die Fördermöglichkeiten für dieses Modell gestrichen hatte. Aus eigenen Mitteln war der weitere Ausbau der noch fehlenden 850 Plätze nicht möglich.
- Die finanziellen Aufwendungen für die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes sind noch nicht beziffert - auch hier gehen wir von weiterem Fehlbedarf aus für den wir ebenfalls keine angemessene Förderung bzw. Erstattung durch das Land erwarten.
- An den Grundschulen herrscht ein teilweise dramatischer Sanierungsstau. Nur drei der Schulen sind in einem akzeptablen Zustand, die anderen 9 Schulen müssen dringend saniert und teilweise für die Aufnahme der steigenden Schülerzahlen bereits in den nächsten Jahren erweitert werden.
- Dazu belastet uns der Digitalpakt mit dem der digitale Anschluss der Schulen sichergestellt werden soll, was insbesondere in der Corona-Pandemie deutlich wurde. Aus den zur Verfügung gestellten Bundesmitteln erhält die Stadt etwa 950.000 Euro. Nach den ersten Planungen werden wir jedoch in den nächsten 5 Jahren etwa 4,3 Millionen Euro (1,9 Mio für die Erstellung der Infrastruktur, 2,4 Mio für Endgeräte und Personal für den Support) benötigen, danach weiterhin jedes Jahr ca. 500.000 für den Support und Beschaffung von Ersatzgeräten.
- Unberücksichtigt ist derzeit noch die verpflichtende Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, die wir ab dem Jahr 2026 umsetzen sollen. Klar ist aber, dass die vorhandenen Strukturen bei weitem nicht ausreichen, um diesen Anspruch zu erfüllen und in den kommenden Jahren erhebliche Investitionen notwendig werden.
- Die Unterhaltung der meisten anderen städtischen Gebäude wurde in den vergangenen Jahren aufgrund fehlender Finanzmittel ebenfalls nur unzureichend ausgeführt, so dass für viele Immobilien ein Sanierungsstau und mithin hoher Investitionsbedarf besteht, teilweise sind Sanierungen aus wirtschaftlicher Betrachtung überhaupt nicht mehr möglich.
- Die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse und die Einführung der elektronischen Akte, Stichwort Onlinezugangsgesetz, wird schon seit Jahren gefordert, konnte aber aufgrund fehlender Haushaltsmittel nur in Teilbereichen umgesetzt werden. Oftmals fehlen noch wichtige Schnittstellen, um die die möglichen Effizienzgrade tatsächlich auszuschöpfen.
- Der hohe Investitionsstau an den Straßen und Gebäuden der Stadt sollte notwendigerweise durch einen Prioritätenplan bestimmt und sukzessive abgearbeitet werden. Aufgrund fehlender finanzieller Möglichkeiten und Spielräume wurden aber oftmals Projekte minderer Priorität vorgezogen, weil es für diese Projekte Fördermittel gab.
Betrachten wir die vorgenannten Punkte als IST-Zustand, ohne Bewertung oder Schuldzuweisung. Sicher kann man über die eine oder andere Investition der Vergangenheit unterschiedlicher Meinung sein – in der Regel sprechen auch immer gute Gründe (Fördermittel, Gesetzesänderungen, Brandschutzauflagen o.ä.) für die Entscheidung(en) des Stadtrates. Aber vor diesem Hintergrund musste für die Haushaltsplanung 2021 eine wesentliche Entscheidung getroffen werden. Ob wir die nächsten Jahre so weitermachen und den Schuldenstand erhöhen – bis zum Jahr 2030 wären das 180-200 Millionen Euro. Oder ob wir versuchen unseren Handlungsspielraum zurückzugewinnen um im Sinne der Bürgerinnen und Bürger wieder selbst zu entscheiden, wo und wie wir in dieser Stadt investieren.
Nach unserer Meinung ist uns dieser Schritt mit der Erhöhung der Grundsteuer B gelungen und wir können erste Erfolge verzeichnen:
- Die Genehmigung unseres Haushalts für das Jahr 2021 (Beschluss im Dezember 2020) erfolgte prompt und ohne weitere Auflagen bereits im Februar 2021, so dass wir die geplanten Maßnahmen auch zeitnah umsetzen können.
- Bereits in der Stadtratssitzung im Juli legen wir einen Plan für den Neubau und die Erweiterung von 4 Kindertagesstätten vor, eine weitere Kita wurde bei der städtischen Wohnbaugesellschaft in Auftrag gegeben. Mit der Umsetzung dieser Projekte wird die Versorgungslücke im Angebot von Kita-Plätzen nahezu geschlossen.
- Das Amt für IT hat in den letzten Monaten in einem Kraftakt in allen Grundschulen ein provisorisches W-LAN Netzwerk aufgebaut, damit mit den bereits vorhandenen Endgeräten gut gearbeitet werden kann – dies war ein wichtiger Baustein für die Schulen um während der Corona-Pandemie ein gutes Unterrichtsangebot aufrecht halten zu können. Gleichzeitig arbeitet das Hochbauamt an der Planung der Infrastruktur für den Anschluss an das Glasfasernetz und der notwendigen Neuverkabelung aller 80 Klassenräume in unseren Grundschulen.
- Für die Entwicklung der Gewerbeflächen werden wir noch in diesem Jahr die nötigen Stellen besetzen können, um den Grundstücksankauf zu beschleunigen. Sowohl im Amt für Immobilienmanagement wie im Bauamt werden je zwei zusätzliche Stellen geschaffen um die zusätzlichen Aufgaben so schnell als möglich voran zu treiben. In einer ämterübergreifenden Arbeitsgruppe wird bereits intensiv an den Planungen und Vorbereitungen gearbeitet.
- Die Mittelbereitstellungen für den Ausbau der Digitalisierung und die Einführung der E-Akte können bereits im Haushaltsjahr 2022 deutlich erhöht werden.
Wie Sie sehen, sprechen viele gute Gründe für die Verbesserung der Einnahmen der Stadt, damit notwendige Maßnahmen durchgeführt werden können und wir alle gemeinsam positiv an der guten und nachhaltigen Entwicklung unserer Stadt arbeiten können. Dabei ist uns bewusst, dass diese Steuererhöhung zu einer Mehrbelastung für fast alle Bürgerinnen und Bürgern Neuwieds führt – aber eben dadurch auch zu einer gerechten Verteilung auf ALLE Schultern und nicht zur einseitigen Belastung von Wenigen.
Pauschal zu bewerten, ob die Belastung tragbar ist, oder nicht, ist schwierig und wir möchten uns das nicht anmaßen oder gar schön reden. Wir gehen aber für Mieter von einer monatlichen Mehrbelastung zwischen 2 und 5 € aus, bei Immobilienbesitzern zwischen 5 und 30 € im Monat. In der Regel gilt dabei, je größer die Wohnung oder das Grundstück, umso höher steigt die Belastung. Das sollte in den meisten Fällen eine gerechte Verteilung sicherstellen, aber bei nahezu 25.000 Grundsteuerobjekten wird es auch ungerechte Fälle geben, das lässt sich nicht vermeiden.
Nachdem das Verwaltungsgericht Koblenz im Dezember in den beiden Musterklagen der Städte Pirmasens und Kaiserslautern festgestellt hat, dass der Landesfinanzausgleich (LFAG) nicht rechtmäßig ist und bis zum 01.01.2023 neu aufgestellt werden muss, wurde die Forderung laut, dass wir die Neuordnung des LFAG abwarten sollten, bevor wir zu dem Mittel der Steuererhöhung greifen. Mittlerweile ist jedoch deutlich geworden, dass mit der Neuordnung des LFAG nicht automatisch mehr Mittel in das System fließen und Neuwied in der Sonderrolle als größte, kreisangehörige Stadt mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr kämpfen muss um am Ende das bisherige Niveau der zu erhaltenden Einnahmen zu halten. Auch diese Entwicklung unterstreicht den Handlungsdruck, mit einem Eigenbeitrag die Ertragssituation der Stadt zu verbessern.
Im Prozess der Haushaltsplanung, zum Stadtratsbeschluss und auch während der Diskussionen zur Grundsteuererhöhung in der jüngsten Zeit, haben wir immer ein Gesprächsangebot an interessierte Bürgerinnen und Bürger gemacht, das manche auch gerne wahrgenommen haben. Ralf Seemann als Finanzdezernent, aber auch Oberbürgermeister Jan Einig und Bürgermeister Peter Jung, sind immer zu einem persönlichen Gespräch bereit. Derzeit arbeiten wir übrigens daran, den Haushalt der Stadt Neuwied ganz transparent im Internet, bzw. auch als APP zur Verfügung zu stellen. Mit wenigen Mausklicks lassen sich die Einnahmen und Ausgaben der Stadt bis in das letzte Detail darstellen und zuordnen. Damit können Sie jederzeit sehen, woher unsere Einnahmen stammen und wie das Geld ausgegeben wird. Nach einem Probelauf in diesem Jahr soll das Programm ab 2022 allen Interessierten zur Verfügung stehen.
Wir haben in Neuwied noch viele und große Aufgaben zu bewältigen, das ist unbestritten. Dafür werden aber auch Finanzmittel benötigt, die wir auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht vom Land oder Bund im erforderlichen Umfang erhalten werden. Der Beitrag durch die Grundsteuer B ist deshalb auch ein Appell an den solidarischen Gedanken, den unser Gemeinwesen einfach braucht und der am Ende unsere Gemeinschaft stärkt und trägt. Wir bitten als Stadtvorstand deshalb auch an dieser Stelle noch einmal um Ihr Verständnis, Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung für diesen notwendigen Schritt.