08.06.2017, 13:01
Karl-Bernd Werning Wahlen Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 08.07.2010 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte. Begründung
Mit der Petition wird die Schaffung der Möglichkeit bei Wahlen gefordert, die Enthal-
tung auf dem Stimmzettel auszudrücken.
In der öffentlichen Petition, zu der 1 368 Mitzeichnungen vorliegen, wird im Wesentli-
chen Folgendes ausgeführt:
Durch die Möglichkeit, Enthaltung auszudrücken, würden das Politikinteresse in der
Bevölkerung gestärkt, Stimmen für extremistische Parteien reduziert und ein diffe-
renzierteres Wahlergebnis ermöglicht.
Bisher sehe das Wahlrecht keine Möglichkeit der Enthaltung vor. Die Unzufriedenheit
mit den Zielen von Parteien und Personen könne nur durch Nichtwahl ausgedrückt
werden.
Dem endgültigen Wahlergebnis sei später nicht zu entnehmen, wie viel Prozent der
wahlberechtigten Bevölkerung kein Interesse an der Regierungsbildung gehabt hät-
ten oder aus politischer Überzeugung keine der angebotenen Wahlmöglichkeiten
wahrnehmen wollten. Wenn im Ergebnis einer Wahl die Enthaltungen enthalten sei-
en, würden auch die restlichen Prozente rechnerisch weniger. So werde ein erheblich
aussagekräftigeres und differenzierteres Betrachten der Meinung des Volkes ermög-
licht.
Wenn aber die Fraktion der Enthaltungen einen zu großen Anteil habe und danach
beispielsweise 30 vom Hundert der Sitze leer blieben, entstünde die Gefahr eines
nicht handlungsfähigen Parlamentes. Dies sei nicht im Sinne der Bevölkerung. Im
Ergebnis sollte die Sitzverteilung grundsätzlich entsprechend den Ergebnissen der
gültig an Parteien/Personen gegebenen Stimmen berechnet werden. Doch sollten bei
allen weiteren Regelungen, die an das Ergebnis gekoppelt seien wie beispielswei-
se Wahlkampfzuschüsse und Parteienfinanzierung die Anzahl der Enthaltungen
einfließen. So müssten sich die Parteien stärker um die Überzeugung der Wähler
bemühen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die öffentliche Petition verwiesen.
Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung stellt sich wie folgt dar:
Der Vorschlag des Petenten wird vom Petitionsausschuss nicht unterstützt, da er
dem Wesen und der Bedeutung einer demokratischen Wahl nicht gerecht wird.
1. Wahlen auf Bundes- und Landesebene stellen in einer Demokratie den entschei-
denden Vorgang der politischen Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen
dar (BVerfGE 44, 125 [140]). Sie dienen der Legitimation der gewählten Staats-
organe durch das Staatsvolk zur Ausübung der Staatsgewalt (BVerfGE 97,
317 [323]). In Parlamentswahlen drückt mithin der Träger der ungeteilten Staats-
gewalt, die Gesamtheit der Wahlberechtigten des Staatsvolkes, seinen Willen
aus, welche Personen für ihn in der nächsten Wahlperiode handeln sollen
(Schreiber, Bundeswahlgesetz, 8. Auflage 2009, Rn. 4 der Einführung). Das setzt
voraus, dass für die Wahlberechtigten eine Auswahlmöglichkeit zwischen mehre-
ren Bewerbern und Repräsentanten verschiedener politischer Richtungen und
mehreren Landeslisten besteht (vgl. Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kom-
mentar zum Grundgesetz, Rn. 19 zu Artikel 38).
2. Wahlen in dem durch das Grundgesetz verfassten demokratischen Rechtsstaat
sind also darauf ausgerichtet, Kandidaten in das Parlament zu entsenden, um ar-
beitsfähige Parlamente bilden zu können, die ihrerseits wiederum funktionsfähige
Regierungen bilden sollen (BVerfGE 14, 121 [134]; 51, 222 [236]). Diesen Zweck
erfüllt der Vorschlag, sich gegenüber Wahlvorschlägen enthalten zu können, ge-
rade nicht. Er zielt allein darauf ab, eine indifferente oder gar ablehnende Haltung
des Wählers gegenüber den zur Wahl stehenden Kandidaten und Parteien zum
Ausdruck zu bringen, ist also nicht auf die Auswahl von Repräsentanten ausge-
richtet. Auf diese Weise wird keine dem Wahlakt innewohnende verantwortli-
che, zukunftsgerichtete und konstruktive Entscheidung für das Gemeinwesen ge-
troffen.
3. Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Bundestag bereits im Zusammenhang
mit einem Wahleinspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 14. Deutschen Bun-
destag dahingehend Stellung bezogen, dass eine Differenzierung zwischen un- gültigen Stimmabgaben und Fällen von Stimmenthaltungen nicht notwendig ist.
Auf Drucksache 14/1560, Anlage 76, ist hierzu im Einzelnen ausgeführt:
Der Gesetzgeber [] hat sich dabei von der Überlegung leiten lassen, dass nur
die tatsächliche Nichtteilnahme an der Wahl als Stimmenthaltung gewertet wer-
den kann, wogegen die Stimmenthaltung beim Wahlgang einer ungültigen
Stimmabgabe gleichzustellen ist. Sobald sich Wähler an der Wahl beteiligen, soll
nur noch zwischen gültigen und ungültigen Stimmen unterschieden werden (vgl.
Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 6. Auflage, § 39 Rdnr. 18).
Der Wähler hat nach dem geltenden Recht ausreichende Möglichkeiten, seine
indifferente oder ablehnende Haltung gegenüber allen Wahlvorschlägen durch
das Fernbleiben von der Wahl oder durch eine bewusst ungültige Stimmabgabe
zum Ausdruck zu bringen. Es steht jedem Wähler darüber hinaus frei, auf die Po-
litik der zur Wahl stehenden Parteien und Kandidaten durch eigenes politisches
Engagement Einfluss zu nehmen oder aktiv an dem ständigen freien politischen
Willensbildungsprozess in unserer Demokratie teilzunehmen, wie z. B. durch
Teilnahme an Versammlungen, öffentliche Meinungsäußerungen oder Mitglied-
schaft in einer bestehenden bzw. Gründung einer neuen Partei. Wahlrechtlich ist
es jedenfalls nicht angezeigt, bei der Feststellung des Wahlergebnisses zwischen
gültigen und ungültigen Stimmen sowie der Stimmenthaltung zu entscheiden, weil
dies das Verfahren nur unnötig verkomplizieren würde, ohne dass damit ein un-
mittelbarer Nutzen verbunden wäre.
4. Denn Stimmenthaltungen könnten letztlich wie derzeit bei ungültigen Stimmen
der Fall keinen Einfluss auf die Sitzverteilung haben. Ein Freibleiben von Sitzen
im Deutschen Bundestag entsprechend dem Anteil der Nichtwähler oder einer
sonstigen festen Quote wäre im Rahmen des gegenwärtigen Wahlsystems der mit
der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl (§ 1 Abs. 1 Satz 2 des Bun-
deswahlgesetzes [BWG]) mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit im Sinne des Ar-
tikels 38 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.
Eine Reduzierung von Direktmandaten nach Feststellung des Anteils der Stimm-
enthaltung wäre nicht statthaft. Ein Kandidat, der in einem Wahlkreis die relative
Mehrheit errungen hat, ist gewählt und hat damit eine Anwartschaft auf ein
Mandat. Zudem wäre die nicht sachgerechte Konsequenz eines Freibleibens von
Direktmandaten, dass manche Wahlkreise nicht durch einen direkt gewählten
Abgeordneten im Deutschen Bundestag vertreten wären. Auch eine Reduzierung von Listenmandaten käme nicht in Frage. Sie hätte eine
erhöhte Anzahl an Überhangmandaten (vgl. § 6 Abs. 5 BWG) zur Folge. Es stün-
de zu erwarten, dass in einem größerem Ausmaß als bereits jetzt für einzelne
Parteien in verschiedenen Ländern mehr Direktmandate anfielen, als der betref-
fenden Partei auf der Grundlage ihres um den Anteil der Stimmenthaltung verrin-
gerten
Zweitstimmenanteils
Sitze
nach
Landeslisten
zustünden.
Über-
hangmandate können aber verfassungsrechtlich nur in sehr engen Grenzen zu-
gelassen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
10. April 1997 (BVerfGE 95, 335 [365 f.]) dazu ausgeführt:
Der Grundcharakter der Wahl als Verhältniswahl lässt eine Differenzierung des
Gewichts der für die Parteien abgegebenen Stimmen nicht unbeschränkt zu. Der
für den Regelfall gesetzlich bestimmten Grundzahl der Abgeordneten des Deut-
schen Bundestags (§ 1 Abs. 1 BWG) und der gesetzlichen Vorgabe, dass für die-
sen Regelfall der Legitimationsvorgang hälftig persönlichkeitsbezogen, hälftig par-
teibezogen stattfinden soll (§ 1 Abs. 2 BWG), entspricht es ebenfalls, dass sich
die Zahl der Überhangmandate in Grenzen hält. Werden diese Grenzen
überschritten, weil sich Verhältnisse einstellen, unter denen Überhangmandate
von Wahl zu Wahl regelmäßig in größerer Zahl anfallen, entfernt sich das Wahl-
verfahren von den Grundentscheidungen des Gesetzes.
Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht eine Abweichung von der hälfti-
gen Zusammensetzung des Deutschen Bundestages nach Wahlkreis- und Lis-
tenmandaten und der proportionalen Verteilung der Sitze nach dem Zweitstim-
menergebnis der Parteien von höchstens fünf Prozent für zulässig gehalten
(BVerfGE 95, 335 [366]). Diese Grenze würde bei einer Reduzierung von Listen-
mandaten aufgrund von Stimmenthaltungen zu leicht überschritten.
5. Die staatliche Teilfinanzierung der Parteien beruht im Übrigen bereits jetzt auf der
Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung, gemessen unter anderem an ih-
rem (positiven) Erfolg bei Wahlen. Für jede für die jeweilige Liste abgegebene
gültige Stimme werden rechnerisch 0,70 Euro in Ansatz gebracht (vgl. § 18
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Parteiengesetzes [PartG]). Einer differenzierteren Aus-
gestaltung der Stimmzettel im Hinblick auf einen entsprechenden Entzug staatli-
cher Gelder bedarf es daher nicht. Weitere staatliche Zuschüsse neben der in
§ 18 PartG geregelten staatlichen Teilfinanzierung etwa in Form von Wahl-
kampfzuschüssen werden nicht gewährt.
Vor diesem Hintergrund sieht der Petitionsausschuss keinen Anlass für parlamentari-
sche Initiativen und empfiehlt, das Petitionsverfahren abzuschließen.