17.07.2012, 11:10
Formale und keine inhaltliche Änderung
Neue Begründung: Nicht in unserem Namen!
kürzlich hat sich eine Initiative aus Anwohner_innen des Bahnhofsviertels gegründet, um in einem offenen Brief auf die ihrer Ansicht nach unerträglich gewordene Belastung durch die hiesige Drogenszene aufmerksam zu machen bahnhofsviertelfrankfurt.wordpress.com/. Ihr Vorstoß hat ein relativ großes Echo in der Presse und bei Offiziellen der Stadt gefunden. Uns – ebenfalls mitunter seit vielen Jahren Anwohner_innen des Bahnhofsviertels – hat das überrascht. Wir konnten nicht nachvollziehen, wieso aus der dichten Gemengelage an Problemen im Bahnhofsviertel ausgerechnet die Drogenszene herausgegriffen wird. Aber auch die Resonanz in der Öffentlichkeit machte uns nachdenklich. Wie kann es sein, dass plötzlich international renommierte „Frankfurter Modell“ der Drogenpolitik in Frage gestellt wird, ohne dass sich an der Faktenlage grundsätzlich etwas geändert hat? Als Anwohner_innen des Bahnhofsviertels sehen wir uns in der Verantwortung, unsere alternative, aber ganz und gar nicht marginale Sicht auf das Leben im Viertel gegen einen unserer Ansicht nach verkürzten und verkehrten Blick zu stellen.
Wir leben gerne im Bahnhofsviertel – aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Hintergründen. Gleichwohl birgt der Alltag hier im Viertel auch etliche Ärgernisse. Homophobe, sexistische und rassistische Anmache gehören für uns hier leider zum Alltag. Gerade der öffentliche Raum der Taunusstraße ist fest in Männerhand. Die bierselige Stimmung des ein oder anderen Junggesellenabschieds schlägt schnell in Aggression um, wenn irgendetwas oder irgendjemand nicht in das Schema der Herrengesellschaft passt. Waren die Mieten auf der Kaiserstraße schon seit eh und je astronomisch hoch, steigen Mieten nun auch auf der Münchener Straße in für viele bisherige Bewohner_innen unbezahlbare Dimensionen. Die momentan im Bau befindlichen Wohnkomplexe …. werden diese Situation wohl noch verschärfen. Im Vergleich zu diesen handfesten Problemen und Bedrohungen für das Zusammenleben im Viertel in sowohl ökonomischer als auch kultureller Hinsicht scheint die Drogenszene ein zu vernachlässigendes Problem darzustellen. Unser Alltag mit der Drogenszene gestaltet sich als zumeist problemloses nebeneinanderher leben. Reibungen, die eher durch Missverständnisse als durch bösen Willen entstehen, sind wir bereit in Kauf zu nehmen. Wir leben in einer global city in einer pulsierenden Nachbarschaft, die viele unterschiedliche Lebensstile beherbergt. Damit ein solches Zusammenleben weiter möglich bleibt, braucht es eine Kultur der Toleranz, die nicht nur akzeptiert, was ohnehin gewünscht wird – das „bunte“ vielfältige Leben des Bahnhofsviertels – sondern auch erträgt, was einem vielleicht nicht passen mag. Gewiss, Toleranz endet dort wo es wehtut, bedrohlich, beleidigend und gefährlich wird, aber eben nicht schon dort, wo es nur ein bisschen ungemütlich ist. Zu einer solchen Kultur der Toleranz würde unserer Meinung nach als allererstes gehören, zu akzeptieren, dass die Junkies genauso Bewohner_innen des Bahnhofsviertels sind, wie wir Anwohner_innen, die wir hier unseren „festen“ Wohnsitz haben. Ein Recht auf das Viertel erwirkt man sich nicht durch das Bezahlen von Miete oder den Erwerb von Eigentum, sondern durch die Nutzung des Viertels, durch dessen Bewohnung.
Es geht uns nicht darum, für die Drogenszene zu sprechen oder das Leben mit der Sucht zu glorifizieren. Wir wenden uns aber gegen eine aggressive Argumentationsstrategie, die alle Probleme des Bahnhofsviertels auf die Drogenszene reduziert, die mit den Junkies Menschen attackiert, die ohnehin marginalisiert sind, die auf keinen Fall widersprechen werden, weil ihre Stimmen (selbst wenn sie etwas sagen wollten) öffentlich nicht gehört werden.
Die „Anwohnerinitiative“ geht nicht von einer faktisch verschlimmerten Lage oder einer größeren Bedrohung durch Junkies aus. Die Vorfälle, welche im offenen Brief geschildert wurden, sind selbstverständlich für die Betroffenen gravierend, das will niemand in Abrede stellen. Dass solche Erfahrungen eine emotionale Reaktion auf die wahrgenommenen Probleme auslöst, ist durchaus nachvollziehbar. Gleichwohl handelt es sich lediglich um episodische Erfahrungen. Diese wurden im Brief der Anwohnerinitiative in einem übermäßig aufgebrachten Ton vorgetragen, was in Gruselszenarien nach dem Motto „stell dir mal vor wenn…“ gipfelte. Politik kann sich aber nicht auf bloß anekdotische Evidenzen und Angstwahrnehmungen bei Entscheidungen stützen. Statistiken über die Wirksamkeit des „Frankfurter Modells“ sprechen hingegen eine klare Sprache. Nach unserer persönlichen Wahrnehmung ist die Präsenz von Drogenkonsument_innen auf der Straße in den letzten 10 Jahren ohnehin zurückgegangen.
Wir glauben nicht, dass die „Anwohnerinitiative“ wirklich die Mehrheit der Bewohner_innen im Bahnhofsviertel repräsentiert. Deswegen formulieren wir diesen Brief mit der deutlichen Absage: IHR SPRECHT NICHT IN UNSEREM NAMEN!