06/07/2016 12:15
Pet 4-18-07-451-022435
Besonderer Teil des Strafgesetzbuches
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 09.06.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden
konnte.
Begründung
Die Petentin fordert, dass in Deutschland das Ohrlochstechen/Ohrlochschießen bei
Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr gesetzlich untersagt wird. Bis zum
Erlangen der Volljährigkeit muss zudem eine Einverständniserklärung der Eltern
vorliegen.
Zur Begründung trägt die Petentin im Wesentlichen vor, dass das Stechen von
Ohrlöchern einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die körperliche
Unversehrtheit des Kindes darstelle. Es sei zu beanstanden, dass insbesondere im
Säuglings- und Kleinkindalter allein die Eltern entscheiden, ob ihrem Kind Ohrlöcher
gestochen werden, obwohl diese medizinisch nicht notwendig seien, und zudem
schmerzhafte Entzündungen verursachen könnten, die während des gesamten
Lebens — wiederholt — auftreten könnten. Außerdem sei die Zeichnung der
Ohrläppchen irreversibel. Erst ab einem Alter von circa 14 Lebensjahren sei das Kind
selbst in der Lage, die Tragweite der Entscheidung des Stechenlassens von
Ohrlöchern vollumfänglich zu erfassen. Daher sei allgemein erst ab diesem Zeitpunkt
das Stechenlassen von Ohrlöchern zu erlauben, wobei eine elterliche Einwilligung
erforderlich sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu dem Vorbringen wird auf die eingereichten
Unterlagen verwiesen.
Die Eingabe wurde als öffentliche Petition auf der Internetseite des Deutschen
Bundestages eingestellt und dort diskutiert. Sie wurde von 401 Mitzeichnern
unterstützt, und es gingen 53 Diskussionsbeiträge ein.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Haltung
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter anderem unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten
Aspekte wie folgt zusammenfassen:
Wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme bereits zutreffend ausgeführt hat,
sind nach dem Grundgesetz (GG) Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche
Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht (Artikel 6 Absatz 2 GG).
Es ist also in erster Linie die Aufgabe der Eltern, für das Wohlergehen und den Schutz
ihrer Kinder zu sorgen. Wenn die Eltern ihrer Aufgabe aber nicht nachkommen, dann
tragen auch Staat und Gesellschaft Verantwortung für ein Kind.
Eingriffe in das Elternrecht werden vom Gesetz mit Rücksicht auf Artikel 6 Absatz 2 GG
an strenge Voraussetzungen geknüpft. Sie sind nach § 1666 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung und nur dann
zulässig, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist
und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.
Die Definition des Kindeswohls obliegt in erster Linie den Eltern im Rahmen ihrer
primären Erziehungsverantwortung. Nach unserer Rechtsordnung darf der Staat nur
bei einer Gefährdung des Kindeswohls eingreifen. Unter einer Gefährdung des
Kindeswohls versteht die Rechtsprechung „eine gegenwärtige, in einem solchen Maße
vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche
Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt". Ob das Stechen von
Ohrlöchern eine solche Gefahr begründet, ist aufgrund der Umstände des jeweiligen
Einzelfalls zu beurteilen. Unabhängige Gerichte wachen darüber, ob ein bestimmtes
Verhalten der Eltern eine Gefährdung des Kindeswohls begründet oder nicht.
Nur in wenigen Ausnahmefällen wird den Eltern ihre primäre Entscheidungskompetenz
über ihr Kind von vornherein gesetzlich aberkannt: Beispielsweise können Eltern nach
§ 1631c Satz 1 BGB in eine Sterilisation des Kindes nicht einwilligen. Der Anlass für
diese Regelung — die einen massiven Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht
(Artikel 6 Absatz 2 GG) darstellt — war, dass der damalige Gesetzgeber davon
ausging, dass sich Erforderlichkeit und Auswirkungen einer Sterilisation während der
Minderjährigkeit des Kindes nur besonders schwer beurteilen lassen (BT-Drs.
11/4528, S. 70). Daher wurde dieser außergewöhnlich schwerwiegende medizinische
Eingriff an einem Minderjährigen — grundsätzlich — gesetzlich verboten.
Die irreversiblen und erheblichen Folgen einer Sterilisation sind jedoch mit den Risiken
des Ohrlochstechens nicht in einem Maße vergleichbar, dass auch in letzterem Fall
eine gesetzliche Regelung angezeigt wäre, wonach eine bestimmte Verhaltensweise
der Sorgeberechtigten — hier das Verbot beziehungsweise die Einwilligung in das
Stechen von Ohrlöchern bei einem minderjährigen Kind — gesetzlich zu
reglementieren wäre. Vielmehr bleibt es Sache der unabhängigen Gerichte, im
Einzelfall darüber zu entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten der Eltern eine
Gefährdung des Kindeswohls begründet.
Soweit eine Person ohne Einwilligung der Eltern bei einem selbst
einwilligungsunfähigen Kind Ohrlöcher sticht, stellt dies bereits nach geltendem Recht
eine Körperverletzungshandlung gemäß § 223 Strafgesetzbuch dar, die straf- und
zivilrechtliche Folgen nach sich ziehen kann.
Der Ausschuss hält die geltende Rechtslage für sachgerecht und vermag sich nicht für
eine Gesetzesänderung im Sinne der Petition auszusprechen.
Der Petitionsausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil
dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.
Begründung (pdf)