28.09.2022, 16:09
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Neuer Petitionstext:
Die Freund*innen der Geschlechtergeschichte fordern den Erhalt der Geschlechtergeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena!
(short English version below)
Am 12. Juli 2022 beschlossen die Mitglieder des Fakultätsrats der Philosophischen Fakultät mit einem 10 zu 7 Votum die Nicht-Neubesetzung des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte. Mit der Emeritierung der derzeitigen Professorin Gisela Mettele im Jahr 2025 soll der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte gestrichen werden. Die Entscheidung fiel kurz vor der Semesterpause im Fakultätsrat. Die Universitätsöffentlichkeit erfuhr erst einen Tag zuvor von der dort anstehenden Debatte.
Fragen von Geschlecht, Sexualität und ihrer Verwobenheit mit anderen Dimensionen der Ungleichheit werden unsere Gesellschaft auch zukünftig beschäftigen. Die Geschlechtergeschichte hilft dabei, diese Debatten historisch einzuordnen und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Bei Studierenden gibt es wegen dieser Gegenwarts- und Zukunftsbezüge ein anhaltendes Interesse an diesem Teilgebiet der Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Lehramtsausbildung profitiert von einer geschlechtergeschichtlichen Expertise: Im Thüringer Lehrplan des Fachs Geschichte wird Geschlecht als eine Erfahrungsdimension beschrieben, die es innerhalb historischer Quellen zu reflektieren gilt. Geschlechterverhältnisse („Frauen- und Männerbilder“) gehören deshalb zu den zentralen Inhalten des Lehrplans. [1]
Wir fordern einen transparenten und demokratischen Aushandlungsprozess über so eine weitreichende Entscheidung wie die Streichung eines etablierten, zukunftsorientierten und international vernetzten Lehrstuhls! Wir fordern, dass Studierende, Geschlechterforscher*innen und Historiker*innen zum Thema angehört werden und eine öffentliche Debatte ermöglicht wird.
Wir fordern den Fakultätsrat auf, seine Entscheidung zu überdenken! Sie steht im Widerspruch zur öffentlichen Positionierung der Universität Jena für die Themen „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Vielfalt“. Sie ist ein fatales Signal angesichts eines sich auf politischer Ebene vollziehenden Rechtsrucks. Bereits 2015 stellte die AfD eine Anfrage im Thüringer Landtag, die darauf abzielte, die „Gender-Forschung“ an thüringischen Hochschulen zu diskreditieren. [2] Es ist wichtig, dass sich die Universitäten mit guten wissenschaftlichen Argumenten gegen solche Angriffe auf die Wissenschaft wehren können, auch hierfür braucht es die Geschlechtergeschichte!
Von der Politik fordern wir deshalb eine hinreichende Finanzierung wissenschaftlicher Geschlechterforschung! Die Landesregierung in Thüringen sprach sich in ihrem Koalitionsvertrag für eine „breit aufgestellte und diverse Hochschullandschaft“ aus. [3] Die Streichung der Geschlechtergeschichte an der Universität Jena aufgrund mangelnder Finanzierung weist jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
Um weiterhin intersektionale und antidiskriminierende Forschung in Jena zu verankern, braucht es die Geschlechtergeschichte als eigenständigen Lehrstuhl!
Wir fordern eine Neuevaluierung der Möglichkeiten zur Weiterfinanzierung aller betroffener Lehrstühle!
Verweise:
[1] Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport: Lehrplan für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife „Geschichte“, Erfurt 2021, S. 6, 8, 29, 32. URL: www.schulportal-thueringen.de/media/detail?tspi=2839.
[2] Kleine Anfrage zur „Gender-Forschung“ an Hochschulen in Thüringen, eingereicht von Wiebke Muhsal (AfD). URL: kleineanfragen.de/thueringen/6/1286.
[3] Koalitionsvertrag zwischen den Parteien DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNDENS für die 7. Wahlperiode des Thüringer Landtags, S. 25. URL: www.spd-thueringen.de/wp-content/uploads/Koalitionsvertrag-r2g.pdf.
Neue Begründung:
Die Geschlechtergeschichte erschließt historische Prozesse, indem sie die Kategorie Geschlecht konsequent als Analysekategorie an den jeweiligen historischen Gegenstand anlegt und die historisch wandelbaren kulturellen Ausprägungen von Geschlechterverhältnissen unter Berücksichtigung ihrer intersektionalen Verschränkungen mit anderen Dimensionen von Ungleichheit analysiert.
Geschlecht, Sexualität und andere Dimensionen der Ungleichheit sind auch in der Gegenwart viel diskutierte Fragen. Der Lehrstuhl hilft dabei, diese (manchmal zu kurzschlüssigen) Debatten historisch einzuordnen. Wichtig ist die Geschlechtergeschichte hier nicht zuletzt deshalb, weil an Geschlechterfragen immer auch Fragen verhandelt werden, die die Beschaffenheit der gesamten Gesellschaft betreffen.
Wir brauchen die Geschlechtergeschichte als kritische und zukunftsorientierte Wissenschaft!
Unterschriften zum Zeitpunkt der Änderung: 172 (7 in Jena)