13.07.2021, 16:25
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Meinung 18. Juni 2021, 14:02 Uhr
Trojanisches Pferd am Neckar: Peter Lenk wollte den Stuttgartern sein ... | SÜDKURIER Online
Uli Fricker
Wenn die Menschheit doch nur auf ihre Propheten, Prognostiker und Seherinnen hören würde! Das Ignorieren dieser Experten kommt später alle teuer zu stehen. Die Geschichte des antiken Poseidon-Priesters Laokoon zeigt dies: Der Mann traute den Griechen nicht, als diese nach dem Kampf um Troja plötzlich so taten, als würden sie abziehen und bereits ihr Lager räumten. Sie hätten genug vom Kampf, jammerten Odysseus und andere Fürsten. Sie wollten zu Frau und Kind, die zu Hause warteten (oder auch nicht). Zum Zeichen des Rückzugs hinterließen die Griechen den Trojanern ein Geschenk: ein hölzernes Pferd.
Nun kommt der gute Laokoon ins Spiel. Er traute den Aktivitäten der Feinde nicht und wollte seine Landsleute warnen. Doch blieb ihm das Wort im Hals stecken, als ihn Schlangen überfielen und ihn samt seinen Söhnen erwürgten. Laokoon ist seitdem Mythos, ebenso wie die kluge Kassandra. Beide wurden zu Spinnern und Spaßbremsen gestempelt. Dabei hatten sie nur eine faktengestützte Prognose abgegeben.
Ein Detail: Auch der ehemalige Oberbürgermeister Manfred Rommel ist plastisch darstellt. Er war einer der ersten Befürworter des Tiefbahnhofs.
Die Erzählung von Trojas Fall glänzt im Licht der Gegenwart. Peter Lenk greift das Motiv in seiner ausladenden Skulptur geschickt auf, die er den Stuttgartern vorbei brachte. Aber die tapferen Schwaben wittern ein falsches Präsent dahinter, eines, das sie dem Spott ausliefert. Also weisen sie die Gabe mit Gründen ab, die fadenscheinig sind.
In der Hauptfigur des Lenk‘schen Laokoon erkennt man den Ministerpräsidenten, der statt Schlangen mit ICE-Zügen ringt. Immer mehr wird der Winfried-Laokoon zum Sinnbild für die Irrwege von Kunst im öffentlichen Raum. Peter Lenk selbst ist ein Laokoon, der mit Widerständen ringt, um sein Werk zu behaupten. Bei Kunst ist es so: Alle wollen und nur wenige können mitreden. Das Aufstellen eines Kunstwerkes ist heute so kompliziert wie der Aufbau eines Windrads, und das will etwas heißen.
Die Welt in hellem Aufruhr: Der Schwäbische Laokoon fängt auch die Kundgebungen gegen das Projekt S 21 ein – bis zum Einsatz von Wasserwerfern.
Seit drei Jahrzehnten belagert und belauert der Bildhauer die kommunalen Festungen, um seine Trojanischen Kunstpferde in die Städte zu schleppen. Dafür hat er sich ein wirksames Verfahren ausgedacht: Er stellt seine Werke erst einmal hin. Auf Probe, wie er versichert. Das Auge des braven Bürgers soll langsam daran gewöhnt werden. Schnell entwickelt das Werk seine eigene Dynamik, es wird fotografiert, vermessen, diskutiert. Die mediale Maschine kommt auf Touren und läuft heiß. Man spricht darüber. Im Rathaus wacht jemand auf: War da was?
Das ist kein Lehrling, den man zum Bierholen schickt
Oh je, das Ding ist ja hochpolitisch! Die Stuttgarter Politik kommt in der Lenk-Komödie nicht gut weg. Also soll es wieder abgeräumt werden. Doch ist Peter Lenk kein Lehrling, den man zum Bierholen schickt. Er sammelt Bürger um sich. Der Oberbürgermeister sitzt jetzt in der Patsche, natürlich sei er für Modernes aufgeschlossen, sagt er. Die Stadträte finden sich in der Rolle der Spielverderber wieder. Sie wollen keinen Trojaner am Neckar.
Das ist der Skulpturen-Garten in Bodman, der Peter Lenk gehört. Dort soll der Schwäbische Laokoon nun Platz finden.
Das ist der Skulpturen-Garten in Bodman, der Peter Lenk gehört. Dort soll der Schwäbische Laokoon nun Platz finden. | Bild: Angelika Wohlfrom
Peter Lenk hat mit dieser Methode der subversiven Überrumpelung immer wieder die Sympathien erobert. Wer jetzt nicht mitlacht, gilt als Spießer. Darin liegt die Verführungstalent des einmaligen Zeitgenossen.
Kultur, die nix kostet?
In Stuttgart hat es nichts geholfen. Ein Kunstwerk, das nix kostet? Dem trauen die Stadträte und schicken den Laokoon zurück an den Bodensee. Sie werden es noch bereuen.