12.10.2016, 04:23
Pet 1-18-06-26-014323Aufenthaltsrecht
Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 07.07.2016 abschließend beraten und
beschlossen:
Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen überwiegend nicht
entsprochen werden konnte.
Begründung
Die Petentin fordert eine Regelung dahingehend, dass das eigenständige
Aufenthaltsrecht für ausländische Ehegatten bereits ab dem Zeitpunkt der
Eheschließung gilt, um einen besseren Schutz für Zwangsverheiratete zu erreichen.
Zu diesem Thema liegen dem Petitionsausschuss eine auf der Internetseite des
Deutschen Bundestages veröffentlichte Eingabe mit 97 Mitzeichnungen und
16 Diskussionsbeiträgen vor. Es wird um Verständnis gebeten, dass nicht auf alle der
vorgetragenen Aspekte im Einzelnen eingegangen werden kann.
Zur Begründung ihrer Eingabe trägt die Petentin im Wesentlichen vor, dass das
deutsche Recht, welches eine Ehemindestbestandszeit von drei Jahren vorsehe,
bevor sich der Aufenthalt des nachziehenden Ehegatten verselbstständige, zur
Unterdrückung der nachziehenden Ehegatten und zur Förderung von Zwangsehen
beitrage. Erst nach drei Jahren sei es nachziehenden Ehegatten, insbesondere
Frauen, möglich sich aus Ehen zu lösen, ohne dass ihnen aufenthaltsrechtliche
Konsequenzen bis hin zur „sofortigen" Aufenthaltsbeendigung drohten. In der Folge
verharrten viele Frauen mindestens drei Jahre in Zwangsehen oder in Ehen, in denen
sie von Ehemännern Missbrauch und Gewalt erführen. Es entstünde durch die
aufenthaltsrechtlichen Regelungen eine absolute Abhängigkeit von dem den
Aufenthalt vermittelnden Stammberechtigten. Darüber hinaus sei Frauen eine
Trennung auch deshalb verwehrt, weil Scheidungen in manchen Kulturkreisen
geächtet würden und für die betroffenen Frauen schwere Konsequenzen bis hin zum
Ehrenmord haben könnten. Daher sei es notwendig, auch denjenigen ein
Aufenthaltsrecht zu gewähren, die keine in Deutschland anerkennungsfähige Ehe
(bspw. eine Imam-Ehe) geschlossen haben, sondern aufgrund religiöser
Verbindlichkeit der Eheschließung an einen Stammberechtigten gebunden seien.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu dem Vorbringen und zur Vermeidung von
Wiederholungen wird auf die von der Petentin eingereichten Unterlagen verwiesen.
Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ihre Ansicht
zu der Eingabe darzulegen. Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich
unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt
zusammenfassen:
Der Petitionsausschuss stellt zunächst fest, dass einem drittstaatsangehörigen
Ausländer, der zu seinem deutschen oder drittstaatsangehörigen Ehegatten nach
Deutschland nachziehen möchte, ein Visum bzw. ein Aufenthaltstitel zum
Ehegattennachzug gemäß §§ 28 bis 30 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zu
erteilen ist.
Der Ausschuss weist weiter darauf hin, dass Voraussetzung dafür u. a. das
rechtskräftige Bestehen einer Ehe oder Lebenspartnerschaft ist. Ob eine rechtskräftige
Ehe besteht, richtet sich nach dem Internationalen Privatrecht (IPR), welches auch
Regelungen für die Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen trifft. Bestimmte
Eheschließungen, etwa die sog. Imam-Ehe, sind nach dem IPR in Deutschland nicht
anerkennungsfähig und daher auch nicht geeignet, einen Ehegattennachzug zu einem
hier lebenden Stammberechtigten nach dem AufenthG zu vermitteln.
Des Weiteren hebt der Petitionsausschuss hervor, dass, bei Vorliegen einer
rechtskräftig geschlossenen, anerkennungsfähigen Ehe, der Ehegatte einen Anspruch
auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat, wenn die übrigen Voraussetzungen – etwa
Lebensunterhaltssicherung – erfüllt sind. Grundsätzlich hängt der Aufenthaltstitel des
nachziehenden Ehegatten an dem Aufenthaltstitel des in Deutschland lebenden
Stammberechtigten, denn es handelt sich um sog. sukzessive Zuwanderung. Der
Aufenthalt des nachziehenden Ehegatten sollte nicht länger dauern, als der Aufenthalt
des Stammberechtigten.
Dieser Grundsatz erfährt durch das selbstständige Aufenthaltsrecht des Ehegatten
eine Durchbrechung. Die Regelung des eigenständigen Aufenthaltsrechts blickt dabei
auf eine über zwanzigjährige Geschichte zurück. Erstmals wurde eine solche
Regelung im Ausländergesetz 1990 im § 19 eingeführt. In diesem setzte das von der
Fortführung einer ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängige Aufenthaltsrecht
entweder vier Jahre Ehegemeinschaft in Deutschland oder drei Jahre und zusätzlich
eine besondere Härte voraus. Die Vier-Jahres-Frist wurde im Jahr 2000 auf zwei Jahre
verkürzt. Bei Vorliegen einer besonderen Härte wurde auf die Voraussetzung des
zweijährigen Bestands der Ehe ganz verzichtet. Seit 2011 erstarkt das
Aufenthaltsrecht des nachziehenden Ehegatten zu einem eigenständigen
Aufenthaltsrecht gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG, sofern die eheliche Gemeinschaft drei
Jahre oder länger im Bundesgebiet gelebt wird.
Mit der Regelung zur Ehemindestbestandszeit soll zum einen den Interessen des
nachziehenden Ehegatten an einer eigenständigen Verfestigung seiner
Lebensverhältnisse und Anerkennung seiner Verwurzelung Rechnung getragen
werden. Zum anderen wird die dreijährige Ehemindestbestandszeit von Seiten der
Bundesregierung als notwendig erachtet, um ausschließlich zum Zwecke der
Erlangung eines Aufenthaltstitels beabsichtigte Eheschließungen (Scheinehen) und
damit einer Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften vorzubeugen.
Wahrnehmungen aus der ausländerbehördlichen Praxis deuteten darauf hin, dass im
Rahmen der oben dargestellten Verkürzung der Ehemindestbestandszeit im Jahr 2000
von vier auf zwei Jahre der Anreiz für Scheinehen gesteigert wurde. Durch die
Erhöhung der Ehemindestbestandszeit auf drei Jahre wird gleichzeitig die
Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung einer Scheinehe vor Entstehung eines
eigenständigen Aufenthaltsrechts erhöht.
Der Petitionsausschuss weist darüber hinaus darauf hin, dass § 31 Abs. 2 AufenthG
eine Härtefallregelung enthält. Danach kann von der Voraussetzung der
Ehemindestbestandszeit in Fällen einer „besonderen Härte" abgewichen werden.
Hierzu ist grundsätzlich erforderlich, dass der Ausländer von einer
Rückkehrverpflichtung ungleich härter getroffen würde als andere, die nach einem
vergleichsweise kurzen Aufenthalt Deutschland verlassen müssen. Mit der
Härtefallregelung wird der Zweck verfolgt, den ausländischen Ehegatten wegen der
Gefahr der Beeinträchtigung seines unselbstständigen Aufenthaltsrechts vor der
erzwungenen Fortsetzung einer untragbaren Lebensgemeinschaft zu schützen.
Dabei ist eine besondere Härte insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der
Ehegatte in einer Zwangsehe befindet, eine der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt
geworden ist oder wenn das Wohl des in der ehelichen Lebensgemeinschaft lebenden
Kindes gefährdet ist (Sätze 2 und 3 von § 31 Abs. 2 AufenthG). Daneben können aber
noch andere, nicht explizit gesetzlich geregelte Härtefälle zur Erteilung eines
Aufenthaltstitels vor Ablauf der drei Jahre führen, dazu zählt z. B. eine drohende
Diskriminierung im Herkunftsland, die ein eigenständiges Leben erschweren würde,
drohende Zwangsmaßnahmen bei einer Schwangerschaft, Kindeswohlerfordernisse,
wenn das Kind in Deutschland bleibt oder sonstige physische oder psychische
Belastungen, die über das übliche Maß hinausgehen. Der Ausschuss hebt hervor,
dass diese bereits bestehende Härteklausel insbesondere dem Schutz von Frauen
dient.
Mit dem BVerwG ist davon auszugehen, dass von der Härtefallregelung des § 31
Abs. 2 AufenthG nur die besonderen Schwierigkeiten erfasst werden, die sich aus der
fehlgeschlagenen Ehe im Bundesgebiet ergeben. Diese Rechtsprechung folgt aus der
Systematik des Aufenthaltsrechts. Das humanitäre Aufenthaltsrecht der §§ 22 ff.
AufenthG bleibt neben den besonderen Regelungen zum Ehegattennachzug in vollem
Umfang anwendbar und gestattet, Aufenthaltstitel aus anderen, eheunabhängigen
Gründen zu erteilen. Davon werden auch Fälle erfasst, in denen Personen in
Deutschland nicht anerkennungsfähig verheiratet sind oder verheiratet werden.
Der Petitionsausschuss teilt die von der Petentin vorgetragene Einschätzung
hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit von Zwangsverheirateten. Gleichzeitig erkennt der
Ausschuss den gesetzgeberisch verfolgten Zweck, die Zahl der Scheinehen mit der
Heraufsetzung der Ehemindestbestandszeit zu reduzieren, als legitimes Ziel an. Hier
hat der Gesetzgeber gleichwohl die Schutzbedürftigkeit von Zwangsverheirateten
nicht außer Acht gelassen, da mit der Härtefallregelung genau in diesen Fällen
abgeholfen werden kann. Einen weitergehenden Handlungsbedarf hinsichtlich der
geforderten Einführung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für ausländische
Ehegatten bereits ab dem Zeitpunkt der Eheschließung, um Zwangsverheiratete zu
schützen, erkennt der Ausschuss vor diesem Hintergrund nicht.
Er empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen
überwiegend nicht entsprochen werden konnte.
Der von den Fraktionen DIE LINKE. und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellte
Antrag, die Petition der Bundesregierung – dem Bundesministerium des Innern – als
Material zu überweisen, ist mehrheitlich abgelehnt worden.
Begründung (PDF)