Volksvertreter Andreas Bär
Stellungnahme zur Petition Nein zur beschlossenen Grundsteuererhöhung Nidderau
SPD Fraktion, zuletzt bearbeitet am 12.03.2019
Ich stimme zu / überwiegend zu.
Sehr geehrte Damen und Herren,
an dieser Stelle möchte ich Ihnen im Namen der SPD-Fraktion, deren Vorsitzender ich bin, antworten. Falls Sie nach dem Lesen dieses (zugegebenermaßen längeren) Beitrags weitere Fragen, Anregungen oder Kritik haben, können Sie gerne mir eine persönliche Nachricht an petition@andreas-baer.de schicken.
Zuallererst will ich Ihnen mitteilen, dass ich genauso unglücklich über die Grundsteuererhöhung bin wie Sie es sind. Ich betreibe – wie alle Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung – Kommunalpolitik im Ehrenamt, bin also in erster Linie wie Sie Nidderauer Bürger und zahle ebenfalls die nun deutlich höhere Grundsteuer. Es muss gemeinsames Ziel aller Nidderauer Parteien sein, die Grundsteuer durch eine Verbesserung der Haushaltszahlen möglichst bald wieder zu senken.
Ich möchte vorab betonen: Der gesamte Prozess von der Einbringung des Haushalts über die Beratungen in den Ausschüssen bis hin zum Beschluss in der Stadtverordnetenversammlung war öffentlich und wurde darüber hinaus durch die Presse begleitet. Alle Bürgerinnen und Bürger hatten und haben die Möglichkeit, die öffentlichen Sitzungen zu besuchen und/oder ihren gewählten Vertretern Anregungen und Kritik mit auf den Weg zu geben. Die SPD-Fraktion erreichen Sie per E-Mail über Fraktion@spd-nidderau.de und auf unserer Homepage finden Sie unsere Stadtverordneten, Magistratsmitglieder und Ortsbeiräte, die Sie jederzeit ansprechen können.
Als im September der Haushaltsentwurf vom Magistrat (der „Stadtregierung“) eingebracht wurde, sah dieser eine Erhöhung der Grundsteuer auf 755 Punkte vor. Wir als SPD-Fraktion haben diesen Entwurf abgelehnt und in den darauf folgenden Wochen in vielen Stunden in unserer Freizeit abends den Haushalt mit den Grünen und der FWG (die CDU hatte eine angefragte Beteiligung abgelehnt) durchgearbeitet und geschaut, wo die Stadt sparen kann. Dabei haben wir zahlreiche Vorschläge entwickelt, wie Sie im Oktober in der Lokalpresse und im Internet lesen konnten. Leider konnten wir während der Haushaltsberatungen nicht alle unsere Sparvorschläge umsetzen und deshalb bin ich zwar einerseits froh, die Erhöhung gegenüber der ursprünglichen Planung abgemildert zu haben, andererseits aber natürlich auch ein Stück weit enttäuscht über das Ergebnis, denn ich hatte mir mehr erhofft.
Als ehrenamtliche Stadtverordnete sind unsere Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Haushalt relativ begrenzt, da viele Ausgaben "fix" sind bzw. mehr oder weniger durch die Verwaltung vorgegeben werden und wir nur geringe Möglichkeiten haben, diese im Detail zu prüfen und ggf. zu ändern. Aber auch der Stadt sind in vielen Bereichen die Hände gebunden. Dies zeigt ein Blick auf die Struktur des Haushalts bzw. seine Einnahmen und Ausgaben:
Die hessischen Kommunen finanzieren sich zu großen Teilen aus Zuweisungen von Bund und Land und nur zu einem kleinen Teil durch eigene Steuern, vor allem die Grund- und Gewerbesteuern. In Nidderau beträgt dieser Anteil ca. 25 %, während die Zuweisungen knapp 60 % ausmachen. Die restlichen 15 % sind Einnahmen aus Gebühren, Miet- und Pachteinnahmen, etc.
Über 17 Millionen muss die Stadt Nidderau in Form von Umlagen und Zuweisungen an andere Organisationen, vor allem den Main-Kinzig-Kreis, abtreten. Etwa ein Drittel, ca. 15 Millionen Euro, gibt die Stadt Nidderau für ihr Personal aus. Über 210 Vollzeitstellen sind bei der Stadt Nidderau angesiedelt, davon über 90 im Sozial- und Erziehungsbereich, vor allem in den städtischen Kindertagesstätten. Knapp 11 Millionen Euro entfallen auf (rein finanzwirksame) Abschreibungen und Aufwendungen für laufende Sach- und Dienstleistungen.
Man sieht, dass die meisten städtischen Ausgaben kaum beeinflussbar sind und daher nur wenig im „laufenden Geschäft“ eingespart werden kann. Städtische Investitionen – die oft von der Opposition als Grund der momentanen Finanzlage genannt werden - werden in der Regel nicht aus den laufenden Einnahmen getätigt, sondern durch den Verkauf von Eigentum, vor allem Grundstücke, oder Kreditaufnahme finanziert. Deshalb kann man eine Erhöhung der Grundsteuer nur zum Teil, nämlich über die Abschreibungen, mit städtischen Investitionen begründen.
In den vergangenen Jahren haben die zu übernehmenden Aufgaben der Kommunen durch die Landes- und Bundesgesetzgebung zugenommen, ohne dass die dadurch entstandenen Kosten ausgeglichen wurden. Ein aktuelles Beispiel ist der vom Land Hessen beschlossene kostenlose Kindergartengrundplatz, der die Stadt Nidderau jährlich rund 250.000 € kostet, weil die Zuschüsse nicht die tatsächlichen Kosten decken. Auch die sog. „Hessenkasse“, finanziert sich zum Großteil durch Gelder, die für die Kommunen gedacht waren und die diesen nun fehlen.
Das Defizit liegt natürlich nicht nur an den Kosten für übertragene Aufgaben von Bund und Land, sondern auch an anderen Bereichen: Fehlende Grundsteuereinnahmen von Neubauten aufgrund der ausstehenden Bewertung durch das Finanzamt, nicht so hohe Gewerbesteuereinnahmen wie andere Kommunen, die zum Beispiel verkehrsgünstiger liegen und hohe Ausgaben in einigen städtischen Bereichen. Der Stadt Nidderau wurden vier Bereiche als besonders defizitär vorgehalten: Die KiTas, das Schwimmbad, die Bürgerhäuser und der städtische Bauhof. Im Falle der KiTas wurde uns seitens einer Einrichtung des von CDU und Grünen regierten Landes Hessen vorgeschlagen, die KiTa-Beiträge von derzeit ca. 20 % Kostendeckungsgrad auf 33 % zu erhöhen, also um ca. 65 %! Wie soll dies in der Praxis umsetzbar sein, ohne die Eltern unverhältnismäßig zu belasten? Beim Schwimmbad haben wir - aus meiner Sicht - maßvolle Erhöhungen des Eintritts beschlossen, ebenso für die Beiträge für die Bürgerhäuser oder Bauhofleistungen.
Ein wichtiger Grund, warum die Stadt Nidderau hohe Ausgaben hat, ist das Angebot für die Bürger vor Ort, das hohe Kosten verursacht und über dem Niveau vieler Umlandskommunen liegt: Ein attraktives Schwimmbad, gute KiTas, städtische Buslinien, eine schöne Stadtbibliothek, Bürgerhäuser in allen Stadtteilen, Jugendzentren, Bereitstellung städtischen Wohnraums, etc. Sparen würde bedeuten, diese Leistungen zu streichen oder stark einzuschränken. Dies wollten in der Vergangenheit weder die Bürgerinnen und Bürger, noch die Parteien in der Stadtverordnetenversammlung.
Städte, die ein solches Angebot bereitstellen, von dem wie z.B. im Fall des Schwimmbads auch die Einwohner der umliegenden Kommunen profitieren, werden vom Land Hessen oft als Mittelzentrum eingestuft und erhalten für ihre höheren Ausgaben auch höhere Zuweisungen. Seit 10 Jahren bemüht sich Nidderau darum, als Mittelzentrum anerkannt zu werden, doch das Land Hessen verweigert Nidderau diese Anerkennung, obwohl es diese Aufgabe längst erfüllt. In einer der letzten Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung wurden zu diesem Thema zahlreiche Schreiben der letzten Jahre vorgelegt. Die Stadt Karben und weitere Städte haben das gleiche Problem. Dort überlegt man mittlerweile gegen das Land Hessen zu klagen. Am Ende entscheidet nämlich alleine das Land darüber, welche Städte Mittelzentrum werden. Und das Land will wiederum nicht mehr Geld ausgeben, um den eigenen Haushalt zu schonen. Unter de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Ober-_und_Mittelzentren_in_Hessen finden Sie eine Übersicht über die hessischen Mittel- und Oberzentren. Dort sehen Sie, dass zahlreiche Städte als Mittelzentren durch das Land Hessen anerkannt sind, obwohl diese teilweise deutlich weniger Einwohner als Nidderau haben.
Um es ganz klar zu sagen: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Steuern gesenkt werden würden, wenn Nidderau Mittelzentrum werden würde. Dies würden wir als Parlament auch vom Magistrat verlangen. Wäre Nidderau bereits Mittelzentrum, wäre ein großer Teil der aktuellen Steuererhöhung nicht notwendig gewesen. Schließlich würden die Einnahmen sich erhöhen, aber keine Mehrkosten entstehen. Deshalb wäre es wichtig, dass alle Nidderauer Parteien, insbesondere diejenigen, die in Wiesbaden die Landesregierung stellen, Druck machen, damit Nidderau endlich als Mittelzentrum eingestuft wird.
Oder betrachten Sie die Beispiele Flüchtlingsbetreuung und die Freistellung bei den KiTa-Beiträgen: Aus Berlin bzw. Wiesbaden bzw. Gelnhausen werden Gelder bewilligt, die oft nicht die tatsächlichen Kosten vor Ort abdecken. Zwar kann die Stadt in der Folge um höhere Gelder bitten (was nachvollziehbarerweise oft nicht von Erfolg gekrönt ist), eine rechtliche Handhabe hat die Stadt jedoch in der Regel nicht, um dagegen vorzugehen. Dies ist aus meiner Sicht ungerecht und frustrierend, aber leider von uns vor Ort nicht zu ändern, höchstens durch den Landtag bzw. Bundestag selbst.
Am Ende muss leider der Bürger vor Ort die Finanzsituation ausbaden, entweder durch Kürzungen von städtischen Leistungen/Angeboten oder eben durch höhere Steuern. Mich ärgert dies selbst und fördert aus meiner Sicht die radikalen Kräfte, denn der Frust der Bürger ist für mich nachvollziehbar, zumal die Finanzierung der Kommunen in Deutschland kaum durchschaubar ist. Nidderau steht mit diesen Problemen im Übrigen nicht alleine da: Beinahe alle Kommunen im Umland mussten ihre Steuern erhöhen oder Schulden machen, egal welche Partei in der jeweiligen Kommune die politische Mehrheit stellt: Großkrotzenburg hat die Grundsteuer auf 790 Punkte erhöht, Langenselbold auf 630 Punkte, Schöneck verlangt 590 Punkte, Offenbach 995 Punkte, Rüsselsheim 800 Punkte, etc.
Das Hessische Statistische Landesamt bestätigt diese Einschätzung: "Die hessischen Kommunen wiesen zum Stichtag 31. Dezember 2017 insgesamt Verbindlichkeiten [...] in Höhe von 32,3 Milliarden Euro aus. Dies entspricht einer Verschuldung von 5189 Euro je Einwohnerin und Einwohner. Im Vergleich der Flächenländer lag Hessen auf Rang 2 der Verschuldungsskala. Lediglich die saarländischen Kommunen erreichten mit 6844 Euro pro Kopf einen höheren Schuldenstand.“ Zur Erinnerung: Das Land Hessen ist eines der reichsten Bundesländer Deutschlands und trotzdem haben die Kommunen im Schnitt die fast höchsten Schulden in Deutschland. Ein Schuldenstand, von dem Nidderau durchgehend weit entfernt war und ist. Die Steuererhöhungen sind daher zwar weiterhin ärgerlich, liegen aber vor allem an der unzureichenden Finanzausstattung durch den Bund und das Land Hessen.
Wir vor Ort hätten natürlich die Möglichkeit gehabt, den aktuellen Haushalt in Gänze abzulehnen, aber dann gäbe es als Konsequenz einen "Shutdown" vor Ort, was wir wiederum auch nicht vertreten könnten, schließlich muss die Verwaltung ihre Arbeit erledigen und ggf. Anschaffungen tätigen können.
Da einige Vertreter der CDU an dieser Stelle bereits Fake News vom Feinsten verbreiten, möchte ich einige Behauptungen kurz klarstellen:
- Sehr viele Investitionsmaßnahmen wurden in der Vergangenheit von der CDU mitbeschlossen. Mit den heutigen Folgekosten will man hingegen nichts zu tun haben. Umgekehrt schmückt man sich mit Maßnahmen wie dem neuen Radweg zwischen Heldenbergen und Erbstadt, dessen Bau man in der Stadtverordnetenversammlung nachweislich abgelehnt hat. Dies erachte ich als unredlich.
- Ebenso wurden von der CDU in der letzten Haushaltsdebatte keine realistischen und/oder finanziell spürbaren Vorschläge zur Sanierung des Haushalts gemacht, die über pauschale Kürzungsvorschläge à la „Die Stadt darf zukünftig nicht mehr Geld ausgeben.“ hinausgingen. Dabei wurde jedoch nicht gesagt, wo in Zeiten steigender Preise und zunehmender Aufgaben das dafür notwendige Geld eingespart werden soll. Im Gegenteil: Alleine die Umsetzung der Anträge zum Beitritt zur Hessenkasse und zur Befreiung von den Gebühren für den KiTa-Grundplatz haben eine Erhöhung der Grundsteuer um etwa 100 Punkte verursacht. Und noch einmal: Die CDU Nidderauer verweigerte sich als einzige Partei im letzten Herbst dem überparteilichen Spargipfel, mit dem gemeinsam nach Lösungen für die schwierige Finanzsituation gesucht werden sollte.
- Für die heute in Hanau ansässige Zulassungsstelle kann erst dann ein neuer Ort gesucht werden, wenn ein neuer Standort wegen des Austritts Hanaus aus dem Main-Kinzig-Kreis nötig wird. Davon sind wir jedoch momentan weit entfernt, bzw. steht ein Austritt noch nicht einmal fest.
- Ebenso verursacht ein neues Bau– bzw. Wohngebiet in den ersten Jahren vor allem Kosten (Erschließung, Schaffung von KiTa-Plätzen, höhere Personalaufwendungen) und rentiert sich erst nach vielen Jahren für die Stadt. Insoweit sind Behauptungen, durch Expansion kurzfristig den Haushalt zu sanieren, schlicht falsch.
Sie sehen bereits an der Länge dieses Beitrags, dass die Situation nicht einfach, sondern recht komplex ist. Einfache Lösungen gibt es daher nicht, auch wenn andere Ihnen das vorgaukeln wollen.
Daher zuletzt eine persönliche Bitte: Informieren Sie sich in Zeitungen und im Internet, besuchen Sie die öffentlichen Sitzungen und glauben Sie nicht blindlings denen, die einfache Antworten auf komplexe Fragen versprechen. Wir als SPD-Fraktion werden Sie weiterhin sachlich und objektiv informieren und im Sinne unserer Stadt handeln. Ich hoffe, Sie können unsere Situation und unser Handeln ein Stück weit nachvollziehen.
Freundliche Grüße
Andreas Bär
[bearbeitet am 12.03.2019]